Nr. 96 - 1.
April 1980 - 9. Jahrgang
BRAUCHTUM - EINST UND JETZT (TEIL 2) - hier geht's zu Teil 1
(verfasst von Oberstudienrat Dr. Rosine Schadauer)
Zu Allerheiligen und Allerseelen wurden
zopfartig geflochtene Heiligenstrietzel gebacken, mit denen man zunächst
Hausangehörige beschenkte. Die Patenkinder erhielten außer dem
Heiligenstrietzel noch Obst, Nüsse und Gold. Auch arme Leute wurden mit
Heiligenstrietzeln oder kleineren Laibchen Weißbrot beschenkt, wofür sie Gebete
für verstorbene Familienangehörige verrichteten. So wird der Heiligenstrietzel
zum "Armenleuteopfer" zum "Seelzopf". In Haag, Strengberg
und bis an die Enns gingen größere Burschen "heiligen", zuweilen
sogar vermummt und maskiert. Sie weckten die Bäuerin, die sie mit Strietzel,
Obst, Kost und Nüssen bewirten und sich sogar zu einigen Tänzen bereit finden
musste. Unter Grimassen, Ächzen und Stöhnen zog die lustige Schar der
Heiligenstrietzel-Sammler wieder ab. Der Gräberschmuck zu Allerseelen
beschränkte sich früher mehr auf bürgerliche Kreise, während heute der
bescheidenste Dorffriedhof am Gedenktag der Toten reich geschmückt ist und die
Gräber auch zu anderen Zeiten betreut werden.
Wie kaum in einem anderen Festkreis
entfaltet sich in der Advents- und Weihnachtszeit das Brauchtum in reichster
Fülle: Am Barbaratag wässerte man die Kirschenzweige ein, die in der heiligen
Nacht erblühen sollten. Im Nikolausbesuch lebte ein christlich umgedeuteter
Wotansmythos der germanischen Vorzeit wieder auf. Im oberen Ybbstal
(Hollenstein) zog der "Nicoloherr" mit der weißbekleideten
mehlbestaubten "Nicolofrau", dem Krampus und der Habergeiß herum.
Anderswo erschien der Nikolaus nicht selbst, legte aber seine Geschenke in die
vor dem Fenster bereitgestellten Hüte, Schuhe und Schüsseln. Heute werden die
Nikolobesuche häufig organisiert oder in den Rahmen einer Veranstaltung
gestellt (Nikolo-Kränzchen ...)
Die Rauhnächte, das Weihnachtsfest und
Neujahr, zeitlich vor und an der Jahreswende gelegen, fallen durch ein
Brauchtum auf, das auf die Enthüllung künftiger Geschicke gerichtet ist. Da
sucht man Antwort auf die Frage nach dem Ehepartner, nach Krankheit, Tod und
wirtschaftlichen Aussichten. Durch das "Losen" (Wahrsagen) und
"Losengehen" (horchen gehen) suchte man zu erkunden, was das kommende
Jahr bringen würde. Diesem Zweck dienten das Bettstaffeltreten am Thomasabend,
das Bleigießen, das Beobachten der Tiere. Weihnachten wurde nicht nur als kirchliches
Fest, sondern auch als Familienfest aufgefasst. Eine Weihnachtskrippe gab es in
vielen Familien, einen Christbaum in den meisten Bürgerfamilien und in manchen
Bauernstuben. "Von Jahr zu Jahr breitet er seine lichtschimmernden Zweige
weiter aus", jubelt P. Robert Weißenhofer. Uralt und noch heute geübt ist
der Brauch des Ausräucherns am Christ-, Silvester- und Dreikönigsvorabend. War
die kleine Prozession mit dem Hausvater an der Spitze in die Stube
zurückgekehrt, bildeten alle einen Kreis um den Weihrauchkran'l (-gefäß) und
bereiteten sich für das Rosenkranzgebet, das sie kniend verrichteten, vor. Die Heilige
Nacht wurde mit Gebet, religiösen Gesängen und harmlosen Spielen zugebracht.
Dem Volksglauben erschien diese Nacht voll Wunder. (Da redeten die Tiere, da gaben
alle Brunnen Wein); aber auch voll beängstigender Vorzeichen von Gefahren und
drohendem Tod. Löscht jemand unversehens die Weihnachtskerze, so stirbt er im
kommenden Jahr etc. Der Mettengang mit der Laterne beschloss die Heilige Nacht.
Das Kletzenbrot durfte am Weihnachtstisch nicht fehlen. Wer neunerlei gesammelt
hat, hatte Aussicht auf Heirat im kommenden Jahr. Wie erleben wir heute Advent
und Weihnacht? Viel altes Brauchtum ging verloren, wesentliches blieb erhalten.
Adventkranz, Krippe und Christbaum, schlichte alte Lieder machen trotz
verwirrenden Äußerlichkeiten den Blick immer wieder frei für den Sinn des
Festes.
Der flüchtige Blick: den wir auf die Fülle jenes Brauchtums im
Jahreslauf geworfen haben, das bis weit in unser Jahrhundert hinein lebendig
geblieben ist, machte uns bewusst, dass heute nur mehr kümmerliche Reste davon
erhalten sind. Die Gründe dafür sind unschwer zu erkennen: Die Handarbeit wich
der Maschinenarbeit. Sie lässt weder Platz noch Zeit für die Pflege des
Brauchtums. Das Freizeitangebot schließt wohl auch seine zeitgemäße Erneuerung
ein, sein Geltungsbereich wird aber vor allem in der Stadt immer mehr
eingeengt. Am besten hat es sich erhalten bei der Gestaltung der Feste. In der
Voralpenlandschaft unseres Bezirkes ist es besser gewahrt als im Flachland.
Zweifellos hat die Nostalgiewelle belebend auf das Brauchtum gewirkt. Wo es
primitivem Aberglauben verhaftet war, bedauern wir sein Verschwinden nicht.
Manche alte Handwerke wie Töpferei, Drechslerei, Zinn- und Kupferschmiede und Holzschnitzerei
wurden wieder entdeckt oder neu belebt und verstärkt ins Bewusstsein der
Menschen gerückt. Auch Laien versuchen sich mit Erfolg im Kunsthandwerk. Unser
Wohnraum spiegelt diese Entwicklung wider. In diesen Rahmen fügen sich
wiederbelebte alte Bräuche, wie Adventkranz und Herbergsuchen, Emausgang und
Brautbaum zwanglos ein.
Einer alpenländischen Tradition folgend,
wird der Blumenschmuck an unseren Häusern und in unseren Gärten immer schöner
und geschmackvoller gestaltet. So kommt es zur Begründung und Befestigung eines
neuen Brauchtums. Trachtenkleidung fand Eingang bei unseren Musikkapellen. Die
Pflege der Hausmusik, das Spiel auf alten Instrumenten spricht immer weitere
Kreise an. Die Brauchtumspflege aber möge sich zum Ziele setzen, gutes Überliefertes
zu bewahren, es dem sich wandelnden Geschmack anzupassen und mitzuwirken, dass
gern verrichtete, gemeinschaftsbildende Betätigungen einmal zum Brauchtum sich
verfestigen können.
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