Nr. 115 - 1 . November 1981 - 10. Jahrgang
BRAUCHTUM UM STERBEN UND TOD - einst und
jetzt (von Oberstudienrat Dr. Rosine Schadauer)
Bräuche, die sich an den Ausgang des
Lebens schlossen, dem dunkelsten allen Geheimnisse, finden wir in verschiedener
Ausprägung zu aller Zeiten und bei jedem Volk. Immer sind sie religiös
motiviert, wenn auch vom Aberglauben stark durchsetzt.
Wie stand man früher zu Alter, Krankheit
und Tod? Nicht nur die Eltern, sondern auch nahe Verwandte und langjährige
Bedienstete lebten und starben, im Gegensatz zu heute, meist dort, wo sie die
besten Kräfte ihres Lebens in Liebe, Sorge und mit Arbeit verbraucht hatten.
Krankheit und Tod wurden als Teil des Lebens verstanden und aus einer gläubigen
Gesinnung heraus mit Fassung hingenommen. Man traf rechtzeitig Verfügungen über
den meist bescheidenen Besitz und setzte im Testament einen bestimmten Betrag
für Seelenmessen ein. Der Priester wurde vorsorglich zum Spenden der
"Sterbesakramente" gerufen. Er trug einen weißen Chorrock, der Mesner
oder ein Ministrant schritt ihm voran und läutete, sooft Menschen in Sicht
waren. Diese knieten dann am Wegrand nieder, empfingen den Segen mit dem
Allerheiligsten und bekreuzigten sich. Während der Priester dem Kranken die
Beichte abnahm, die Wegzehrung reichte und schließlich die "Letzte"
Ölung spendete, beteten Hausleute, Nachbarn und engere Verwandte in der Stube
einen Rosenkranz. In jedem Haus bewahrte man für das "Versehen" ein
eigenes Tischchen, eine mit religiösen Zeichen und Sprüchen bestickte
"Versehdecke", einen Betschemel, ein Standkreuz, 2 Kerzenleuchter und
geweihte Kerzen sorgfältig auf. Traf der Priester den Kranken nicht mehr lebend
an, ging er "weiß" (im weißen Chorrock) in die Kirche zurück. Die
Angehörigen waren in diesem Fall tief bekümmert.
Der Sterbende nahm, wenn er es vermochte,
Abschied von den Seinen, sagte Dank und gab letzte gute Mahnungen, besonders
für die Kinder. Eine Hand des Sterbenden, die eine brennende Kerze umschloss,
hielt ein naher Angehöriger und sagte ihm zuweilen ein helfendes, tröstendes
Wort. Mit Gebet geleiteten die im Sterbezimmer Anwesenden die Seele hinüber.
Dem Toten wurden die Augen zugedrückt und dann mit nassen Läppchen oder
Kupfermünzen beschwert. Diese Münzen wurden nachher verschenkt. Das Kinn wurde
aufgebunden oder mit einem zusammengerollten Tüchlein gestützt. Im Sterbezimmer
öffnete man ein Fenster, damit die Seele 'ausfahren' könne.
Die Uhren im Zimmer wurden zum Stehen
gebracht. Die stehenden Zeiger sollten ein Bild des abgelaufenen Lebens sein.
Man verhängte auch den Spiegel, weil man glaubte, er würde sonst erblinden. Der
Tote blieb drei Stunden im Bette liegen, wurde dann gewaschen und schwarz
bekleidet, nicht selten mit dem Anzug, den er zur Hochzeit getragen hatte.
Nachbarn besorgten diesen letzten Liebesdienst und bekamen dafür das Bettuch
des Verstorbenen und einige seiner Kleidungsstücke. Das Bettstroh wurde auf dem
nächsten offenen Feld oder auch auf offenem Weg verbrannt. Dabei knieten die
Hausleute und Nachbarn um das Feuer herum und beteten für den Toten.
Im Gebirge glaubte man, dass der Rauch die
Seele zum Himmel trage. Die Leiche wurde auf den "Laden" gelegt, der
auf zwei Holzschragen ruhte, oder auf eine Bank ohne Lehne. Zu Haupten des
Toten brachte man ein Kreuz an und stellte ein Öllicht auf. Ähren oder
Buchsbüschel in einem Gefäß mit Weihwasser dienten zum Besprengen des
Leichnams. Die gefalteten Hände waren mit einer Bet'n (Rosenkranz) umwunden.
Die Brust wurde mit Heiligenbildchen bedeckt, die man spendete, wenn man den
Toten "anschauen" ging und ihm ein "Weihwasser gab". Die
Leichen von Mädchen waren gewöhnlich weiß bekleidet. Der Sterbetag war ja der
Jungfrauen "Ehrentag" (Hochzeitstag). - An dieser Stelle darf darauf
hingewiesen werden, dass bis in die ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts
hinein der Volkskrankheit Tuberkulose viele Jugendliche erlagen.
An den Abenden zwischen Tod und Begräbnis kamen Nachbarn und nahe Verwandte im Trauerhaus zum 'Nachtwachen' zusammen. Am Beginn und am Ende betete man still beim Toten und gab ihm einen "Weihbrunn". Dazwischen betete man drei Rosenkränze, darunter einen für die "Armen Seelen", und sang "Totenlieder", deren Texte uns heute schaudern lassen. Einige Liedanfänge mögen dies zeigen:
An den Abenden zwischen Tod und Begräbnis kamen Nachbarn und nahe Verwandte im Trauerhaus zum 'Nachtwachen' zusammen. Am Beginn und am Ende betete man still beim Toten und gab ihm einen "Weihbrunn". Dazwischen betete man drei Rosenkränze, darunter einen für die "Armen Seelen", und sang "Totenlieder", deren Texte uns heute schaudern lassen. Einige Liedanfänge mögen dies zeigen:
Über Moder, über Leichen führt des Todes
grauser Pfad. Unter seinen kalten Streichen fällt die junge Menschensaat. So
hat er auch hier getroffen, in des Lebens Blütezeit, eines Vaters schönstes
Hoffen, einer Mutter sel'ge Freud . . . . Jetzt, da ich ausgerungen habe des
Lebens herbe Pein, so grabet mich im kühlen Grabe recht still und friedlich ein
. . . Seht hier meine Ruhestätten, liebe Freunde, Nachbarn mein, ach sie ist
ein schmales Bette, eine Wohnung eng und klein. Allen Menschen hier auf Erden
wird zuteil sie einstens werden - heute mir, morgen dir.
War der erste, längere Teil der Nachtwache
zu Ende, so wurden die Gäste mit Most, Hausbrot und Dörrobst bewirtet. Das
Wachen dauert noch heute in einzelnen Ortschaften des Ybbstales über
Mitternachthinaus.
Am Morgen des Begräbnistages versammelten
sich im Trauerhaus die durch Leichenbitter geladenen "Freunde"
(Verwandte), Nachbarn und Göd'nkinder des Toten. Sie wurden mit einem Frühstück
bewirtet und gaben dem Verstorbenen einen Weihbrunn. Nach dem Abbeten von 5
Vaterunser oder einem Rosenkranz wurde der Sarg in das Vorhaus getragen. Dann
folgte die Zeremonie des "Abbittens" oder "Urlaubnehmens".
Der Sprecher war der Vorbeter oder Sargtischler. Ist auch der Text von Ort zu
Ort verschieden, gemeinsam ist allen das Bedürfnis, den Lieben noch einen
letzten Gruß und ein Wort des Abschieds zu sagen. Die naive Sprache trifft das
Gemüt. Und so begann die Ansprache: "Gelobt sei Jesus Christus! Hiazt
pfiat eng, alle Gott bei'nander; muaß eng heunt verlass'n. Bin oft ind' Kirch'n
nach .... ganga und wieder hoam kemma, oba heunt kimm i neamer z'ruck. So pfiat
di Gott, mein liebs Weib . . . ." Es folgte ein Abschiedsgruß und eine
Mahnung an die Kinder, ein Pfiatgott an Nachbarn, Göd'n und Freund' und
schließlich die Bitte um ein Gedenken und Gebet. Dann ging die Gattin hin,
besprengte den Toten mit Weihwasser, machte das Kreuz über ihn und sagte:
"So pfiat di Gott, mei lieba Mann, bis ma wieder z' samm kemman."
Einzeln sagten die Kinder: "Pfiat'n Vatern ... Dank in Vatern für alles
Guate!" Auch Nachbarn und Freunde verabschiedeten sich. Mancher setzte mit
brechender Stimme hinzu: "Han di gern g'hat, Nachbar.' Dreimal senkten die
Träger den Sarg aber die Türschwelle in Kreuzform und beteten dabei:
"Gelobt sei Jesus Christus!" Alle antworteten: "In Ewigkeit
Amen.' Mit dem Gesicht nach vorn wurde der Tote aus dem Haus getragen, denn
schaute er zurück, starb bald jemand aus dem Hause nach. Der Sarg wurde auf
einem gewöhnlichen Wagen zur Kirche gefahren. Der Kutscher, ein Nachbar, durfte
sich nicht umschauen, sonst würde er dem Toten einen Kameraden suchen. Gegen
Ende des vorigen Jahrhunderts schafften größere Gemeinden Leichenwagen an, die
sie auch an kleinere verliehen. Aber immer noch und bis tief in unser
Jahrhundert hinein wurden "kleine" Leute auf dem Ladewagen zum Grabe
gefahren. Den Sarg eines Kindes trug ein Bursche oder ein Schulknabe auf den
Armen, wobei ihm ein Tragband die Last erleichterte. Statt des Totenamtes las
der Pfarrer dann ein Engelamt. Die Säuglings- und Kindersterblichkeit war durch
mangelhafte Hygiene, durch den nicht selten tödlichen Ausgang von
Kinderkrankheiten hoch. Junge Frauen erlagen immer wieder dem Kindbettfieber.
Die Begräbnisse waren noch in den
zwanziger und beginnenden dreißiger Jahren nach den Kosten in aufwendige und
schlichte geteilt. Bei einem Begräbnis zweiter Klasse blieb der Sarg während
der Totenmesse vor dem Eingang zur Kirche stehen, auf dem Weg zum Friedhof gab
nur ein Priester das Geleit, und es gab nur das "kleine G'läut". Ein
trauriges Relikt aus einer Zeit, wo nicht einmal der Tod Gleichheit unter den
Menschen schuf. Typisch für das Landvolk war, dass es bei Begräbnissen alles
Gepränge vermied und dafür der Seele des Toten möglichst viel an Gebet zugute
kommen ließ. Es gab damals keinen Luxus an Kränzen und Schmuck des Grabhügels.
Ein einfaches Holzkreuz wurde aufgerichtet. Nach dem Begräbnis folgte die
"Totenzehrung", eine reichliche Mahlzeit mit Suppe, Rindfleisch und
Semmelkren und Kaffee mit einer Kaisersemmel. Von Städtern oft belächelt, ja
verspottet, hat dieses Mahl seine Berechtigung in dem Umstand, dass die
Trauergäste oft noch einen weiten Heimweg vor sich hatten, für den sie sich
stärken mussten.
Im Schmerz um ihre Toten zeigten die
betroffenen Angehörigen eine Fassung, ja eine heroische Haltung; so wenn ein
Vater oder eine Mutter mit einer Schar oft unversorgter Kinder am Grab der
Gattin oder des Gatten stand. "Der Stützpunkt ihrer Seelengröße, ihrer
Hoheit im Leiden ist in wahrem Gottvertrauen zu sehen." Auch galt ein
auffälliges Benehmen in Äußerungen des Schmerzes als unschicklich und wurde,
wenn auch augenblicklich nicht getadelt, so doch nachher "beredet".
Zahlreich waren die Meinungen, die sich an
den Tod, an die armen Seelen, an das Erscheinen von Toten knüpften. Man glaubte
an eine Anmeldung im Augenblick des Todes: Türen gingen auf und niemand trete
ein. Man höre Klopfgeräusche, Gegenstände fielen von der Wand. Schritte seien
in einem leeren Zimmer zu vernehmen. Verstorbenen müsse man nicht allzu heftig
und allzu lang "nachweinen", das störe ihre Ruhe. Hat der Tote
fremdes Gut nicht zurückgestellt, so finde er nach dem Tod keine Ruhe er müsse
"umgehen": In der Nacht erscheine er dann einem Verwandten oder guten
Freund und sage, was ihm fehle, bezeichne auch den Ort, wo das unrechte Gut zu
finden sei. Betet man für ihn und tut man das Geheißene so erscheine der Tote
zuweilen wiederholt, aber immer "weißer", und zuletzt flattere die
Seele auch wohl als weiße Taube zum Himmel auf, nachdem sie sich für die
Erlösung bedankt habe.
Die Nacht gehöre den Geistern. Sie gingen besonders vom Ave Maria - Läuten des Abends bis zum nämlichen Glockenzeichen des Morgens um. Wenn ein Messer mit der Schneide aufwärts liege, so müsse eine arme Seele darauf reiten. Eine solche leide auch, wenn man Türen und Gatter stark zuschlage. Solange um die Hinterlassenschaft eines Verstorbenen gestritten werde, könne dieser keine Ruhe finden. Wenn das Feuer im Herde singt, liege eine arme Seele in der Pein. Man streue etwas Salz in die Flamme oder werfe Brotkrümchen hinein. Mit Weihwasser könne man die Qualen der armen Seelen lindern. Auch jetzt noch nehmen vorwiegend ältere Menschen in der Kirche reichlich Weihwasser und besprengen den Boden damit. Liebevolle Gesinnung bekundete damals wie heute die enge Beziehung der Menschen zu ihren Toten. Nur war es früher üblich, jedes Reden von ihnen einzuleiten mit den Fügungen: "Mein Vater, tröst ihn Gott, ...", "Mein Großvater selig" oder "Meine Mutter, Gott hab' sie selig . . ." oder "Meine Großmutter, Gott lass sie selig ruh'n!" Träumte man von einem Toten, so betete man für ihn. Zahlreiche Gebete und Gebetbücher gaben den Gläubigen viele Hinweise, wie sie ihren Verstorbenen helfen konnten. Man trachtete, Ablässe zu gewinnen, und brachte Opfer, die ihnen zugute kommen sollten. Manche frommen Stiftungen (Kreuze, Marterln, Kapellen, Kirchen, Klöster) verdanken dem Armen-Seelen-Kult ihre Entstehung. Manches Sozialwerk ist auf diesem Weg entstanden.
Die Nacht gehöre den Geistern. Sie gingen besonders vom Ave Maria - Läuten des Abends bis zum nämlichen Glockenzeichen des Morgens um. Wenn ein Messer mit der Schneide aufwärts liege, so müsse eine arme Seele darauf reiten. Eine solche leide auch, wenn man Türen und Gatter stark zuschlage. Solange um die Hinterlassenschaft eines Verstorbenen gestritten werde, könne dieser keine Ruhe finden. Wenn das Feuer im Herde singt, liege eine arme Seele in der Pein. Man streue etwas Salz in die Flamme oder werfe Brotkrümchen hinein. Mit Weihwasser könne man die Qualen der armen Seelen lindern. Auch jetzt noch nehmen vorwiegend ältere Menschen in der Kirche reichlich Weihwasser und besprengen den Boden damit. Liebevolle Gesinnung bekundete damals wie heute die enge Beziehung der Menschen zu ihren Toten. Nur war es früher üblich, jedes Reden von ihnen einzuleiten mit den Fügungen: "Mein Vater, tröst ihn Gott, ...", "Mein Großvater selig" oder "Meine Mutter, Gott hab' sie selig . . ." oder "Meine Großmutter, Gott lass sie selig ruh'n!" Träumte man von einem Toten, so betete man für ihn. Zahlreiche Gebete und Gebetbücher gaben den Gläubigen viele Hinweise, wie sie ihren Verstorbenen helfen konnten. Man trachtete, Ablässe zu gewinnen, und brachte Opfer, die ihnen zugute kommen sollten. Manche frommen Stiftungen (Kreuze, Marterln, Kapellen, Kirchen, Klöster) verdanken dem Armen-Seelen-Kult ihre Entstehung. Manches Sozialwerk ist auf diesem Weg entstanden.
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