Nr. 95 -
1. März 1980 - 9. Jahrgang
LÄNDLICHES
BRAUCHTUM - EINST UND JETZT (TEIL 1)
(verfasst
von Oberstudienrat Dr. Rosine Schadauer)
Der
vorliegende heimatkundliche Beitrag stützt sich auf Erlebnis und Erzählung und
auf die Abhandlung "Das Jahr" von P. Robert Weißenhofer, Benediktiner
von Seitenstetten. Diese ist entnommen dem Werk "Die österreichisch -
ungarische Monarchie in Wort und Bild", 2. Abteilung: Niederösterrech;
Wien 1888.
P.Robert
Weißenhofer findet das Wesen des Mostviertels im Gemüt ausgeprägt. In ihm
liegen jene Eigenschaften, die als "seine unbestrittenen Vorzüge"
gelten: die Treue zum Vaterglauben, von dem aus er Ehe, Familienleben und
Kindererziehung gestaltet. Tatsächlich wurde die Landschaft zwischen Enns und
Ybbs Jahrhunderte hindurch anderswo als die "betende Gegend"
bezeichnet. Die Treue zur Scholle, die Heimatliebe und ein zufriedenes Gemüt
ließen den Mostviertler auch selten an großen Auswanderungsbewegungen
teilnehmen. Sein bedächtiges Wesen lässt ihn Fremden gegenüber misstrauisch
sein. Hat er aber Zutrauen gefasst, so liegt seine biedere, treuherzige Art
offen da. Sie zeigt sich besonders in der Gastfreundschaft, die als
Nächstenliebe sich offenbart, wenn ein Mitmensch der Hilfe bedarf. "Den
Armen vor der Tür reicht der Bauer auch in Missjahren das erbetene Stück Brot,
und Nachtherberge verweigert er nicht leicht dem obdachlosen Fremden".
Das
heitere Gemüt des Mostviertlers äußert sich in Witz, Humor und Freude an
Geselligkeit. Doch kritisiert Weißenhofer an seinen Landsleuten den
"Kleiderluxus", der „auch bei unserer bäuerlichen, besonders
weiblichen Bevölkerung mehr und mehr Eingang findet", die Neigung zum
Aberglauben in Bräuchen, die sie üben, ohne dabei etwas zu denken. Konsequenz
wird bei den "Mostschädeln" oft zur Hartnäckigkeit - besonders in
Prozesssachen.
Das in
Jahrhunderten gewachsene Brauchtum ist eingebettet in den Jahreslauf, prägt das
Leben zwischen Geburt und Tod, erhöht den Zauber der Feste und vertieft ihren
Gehalt. Es wurzelt in einem weiten oder engen Raum, unterliegt verschiedenen
Ausformungen, verschwindet in einem Bereich und findet sich anderswo wieder.
Immer aber lebt und webt in ihm die Volksseele mit ihren Wünschen, Erwartungen
und Ängsten. Aberglaube, ja selbst Spuren heidnischer Kulte und Mythen sind in
ihm erkennbar. Ganz stark ist in ihm spürbar die Sorge um dass tägliche Brot,
das Gedeihen der Ernte, die Bewahrung der Tiere vor Schaden aller Art. So kam
das spöttische Wort in Umlauf „‘s Weibasterb'n ist koa Verderb' n; oba 's
Viehvarecka tuat in Bau'n daschrecka"
Die
folgende Darstellung beschränkt sich auf das Brauchtum im Jahreslauf. Jene
Bräuche, die sich an den Lebenslauf knüpfen werden in einem späteren Beitrag
behandelt.
Das neue
Jahr wurde fast überall "eingeschossen" und von nachts herumziehenden
kleinen Musikbanden "eingeblasen". Man wünschte sich gegenseitig
Glück und bediente sich bei den Besuchen in der Nachbarschaft landläufiger
Wunschformeln. Allerlei Aberglaube knüpfte sich an den ersten Tag des Jahres:
Die erste Begegnung, der erste Glückwunsch, die erste Arbeit sollte bedeutsam
sein für das ganze Jahr. Daher das Sprichwort: "Wie zu Neujahr, so das
ganze Jahr". Uralt ist der Brauch zu Neujahr einen Schweinerüssel zu
essen; er soll Glück bringen.
Vor und
nach dem Fest der Heiligen Drei Könige zogen die Sternsinger von einem Haus zum
anderen und sangen uralte Lieder. Dafür erhielten sie Backwerk, Arme auch Geld.
Am Vorabend des Festes wurde die Tenne sauber gekehrt, "weil die Heiligen
Drei Könige in der Nacht darauf tanzen wollen".
Heute
wird das neue Jahr mit Silvesterfeiern in Lokalen und Partys im Freundeskreis
eingeleitet und mit Knallkörpern und Böllern eingeschossen. Der Aberglaube
kommt durch Beschenken mit allerlei Glückssymbolen (Schweinchen, Kleeblatt,
Fliegenschwammerl, Rauchfangkehrer...) wie eh und je zur Geltung. Kirchliche
Organisationen führen das "Sternsingen" im Dienst der Weltmission in
Lied und Wort würdig weiter, ein gutes Beispiel für die sinnvolle Neubelebung
eines alten Brauches.
Zu Maria
Lichtmess wurden Wachskerzen zur Weihe in die Kirche gebracht, unter ihnen die
"Wetter"- oder "Florianikerze". Sie wurde bei Gewittern
angezündet, ein Brauch, der heute noch vereinzelt geübt wird. Lichtmess hieß
auch das "Bauern-Neujahr", denn unter den sonst üblichen
"Wandertagen der Dienstboten" (Georgi 23. April, Jakobi 25. Juli,
Martini 11 .November) nahm dieser Tag die erste Stelle ein.
Der
Tenneboss (Tendlboss) war ein Festmahl, das in der Faschingszeit gefeiert
wurde, wenn die Arbeit auf der Tenne, das Dreschen des Getreides mit
Dreschflegeln, beendet war. Nach der Einführung der Dreschmaschine (um 1880)
wurden bald zur abendlichen Unterhaltung lustige, mitunter auch derbe, ja rohe
Spiele getrieben, wie das „Hakelziehen"‚ das „Stockschlagen"‚ das „Gretlhäuten".
Gelegentlich schloss man den Drusch mit einem Tanz ab. Die Mundharmonika
lieferte die Musik dazu. Pfarrer erhoben von der Kanzel aus Einspruch gegen
diese „Winkeltänze".
Der
Fasching dauerte vom „feisten Pfingsttag" (Donnerstag vor Quinquagesima)
bis zum Aschermittwoch. Er galt wie heute als die lustigste Zeit im Jahr, in
der reichliche Mahlzeiten - bei denen Faschingskrapfen nicht fehlen durften -
mit Tanz und Maskeraden abwechselten. Überall herrschte frohes, ja bisweilen
tolles Treiben. Das Geld saß den Leuten, die sonst jeden Heller umdrehten,
bevor sie ihn ausgaben, locker in der Tasche. Die Narrenumzüge waren nach der
Gegend und den Berufen der Leute verschieden. So entwickelte das
eisenverarbeitende Gewerbe im Ybbstal mit Waidhofen an der Spitze besonders
originelle Umzüge. Immer aber spielten die wirtschaftlichen Hoffnungen und
Befürchtungen eine Rolle: So glaubte man, wenn beim Faschingstanz die Mädchen
hoch sprangen, werde der Flachs recht lang werden. Am Faschingsmontag ging der
Bauer ins Wirtshaus‚ um dem „Hafer Wurzeln zu trinken", am Aschermittwoch,
um den „Hafer zu schwellen" und den „Weizen zu beizen", während der
Rossknecht die „Pflugzwickel dechteln" (einweichen) musste. Am Faschingstag
schmierten die Knechte das Riemzeug, damit die Zugtiere im Sommer nicht vom
"Goß" (der großen Bremse) geplagt würden.
Der
Osterkreis wies eine Fülle von Bräuchen auf. Am Palmsonntag brachten die
Burschen zur Erinnerung an den feierlichen Einzug des Herrn in Jerusalem große „Palmbuschen"
auf Stangen zur Weihe in die Kirche. Sie sollten die Tiere im Stall vor
Krankheiten und auf der Weide vor Blitzschlag schützen, und das „Verschreien"
sollte ihnen nicht schaden. Neben den langen, prächtigen Palmstangen gab es die
kurzen, etwa 40cm langen „Palmbeserl“. An einem Stiel waren Palmkatzerlzweige
und Zweige der Stechpalme und des Segenbaumes befestigt. Nach der Weihe in der
Kirche wurden diese Beserl an Kreuzen aufgesteckt, aber auch in Stall und
Scheune sowie auf den Feldern angebracht zum Schutz gegen Blitz, Hagelschlag
und andere böse Schäden. Als „Palmesel" bezeichnete man besonders im
Ybbstal jeden, der am Palmsonntag verschlief. Das Brauchtum des Palmsonntags
ist bis heute lebendig geblieben.
Am
Gründonnerstag „reisen die Glocken nach Rom". Auf den Mittagstisch kam an
diesem Tag die „Siebenkräutersuppe".
Am
Karfreitag mied man nicht nur jede geräuschvolle Arbeit, auch das Brotbacken
und Waschen empfand man störend für die Grabesruhe des Herrn. Manche Bäuerinnen
vermieden in den letzten drei Tagen der Karwoche auch Geschäfte wie den Verkauf
von Futter und Eiern. Die Ratschenbuben ziehen heute noch von Haus zu Haus und
geben das Zeichen zum „Englischen Gruß". Dafür erhalten sie Ostereier,
Geld und Gebäck. In vielen Betrieben gedenkt man heute am Karfreitag um 15 Uhr
durch eine kurze Arbeitspause des Opfertodes Christi.
Am
Karsamstag entzündete man mit dem bei der Feuerweihe angebrannten Weihholz das
Herdfeuer, dann steckte man es zur Abwendung von Flurschäden auf die Felder.
Damals wie heute besuchte man am Karsamstag das Hl. Grab. Die
Auferstehungsfeier, früher am Karsamstag, wurde auf den Ostersonntag verlegt.
Am
Ostersonntag betete am Morgen der Hausvater mit seinen Leuten unter den Bäumen
des Gartens, das Gesicht der Sonne zugewandt; diese sollte aus Freude über die
Auferstehung Christi drei „Hupferl" machen. Wer als letzter aufstand,
wurde als „Osterbloch" beschimpft. Das erste Fleisch am Ostersonntag
sollte das geweihte Fleisch sein. Dieser Brauch ist vielfach noch lebendig.
Am Weißen
Sonntag besuchten die Enkelkinder ihre Großmutter, die ihnen ein Kipfel
schenkte. Der Brauch ist geblieben, mögen auch die „Omas" von heute die
Benennungen „Ahnlkipfl" und „Ahnlsonntag" nicht mehr kennen. Ein sehr
alter Brauch ist das „Roanspritzen". Zu Georgi (23. April) und Philippi
(3. Mai) gingen die Bauern die Feldraine (Feldgrenzen) ab, beteten den
Rosenkranz und besprengten sie mit Weihwasser. In Neuhofen an der Ybbs betete
man: „Alles Böse weich von dannen in Jesu und Mariä Namen".
Die
Bräuche zum 1. Mai haben sich kaum geändert. Burschen setzten aber auch ihren
Mädchen in der ersten Mainacht einen „Ehrenbaum", Mädchen mit üblem Ruf
und missliebigen Personen einen „Spottbaum" vor das Haus. Man zechte und
tanzte im Freien zu den Klängen einer Mund- oder Ziehharmonika und holte vom
Wipfel des Maibaumes Preise herab.
Zu Pfingsten
rief man in aller Früh auf Bergeshöhen den Heiligen Geist an. Dieses „Heiligen-Geist-Fangen"
ist aus Ybbsitz überliefert. Mit dem „Pfingstschießen" wollte man im
Ybbstal Frost- und Blitzschäden von den Bäumen fernhalten.
Zu
Fronleichnam werden nach altem Brauch Zweige von den Birken gebrochen, die vom
Weg der Prozession säumen. Um Fensterkreuze und Kruzifixe gewunden sollen sie
vor Blitz schützen - ein Brauch, der sich durch Jahrhunderte lebendig erhielt.
Das
Sonnwendfeuer stand ursprünglich im Dienst eines heidnischen Kultes, in den
später christliches Brauchtum Eingang fand. Der Sonnwend- und der Johannistag
(21. und 24. Juni) wurden besonders in unserer Heimat seit langem mit
Höhenfeuern und Böllerschüssen gefeiert. Vom Schein der Sonnwendfeuer, die
möglichst dicht lodern sollten, und vom Feuerspringen erhoffte man sich Segen
für die Ernte. Altes Weihholz, alte Palmbesen und verdorrte
Fronleichnamskränzchen wurden darin verbrannt. Am Sonnwendtag kamen
Sonnwendkrapfen und als besonderer Leckerbissen „Hollerstrauben"
(gebackene Holunderblüten) auf den Tisch. Sonnwendfeuer werden auch heute noch
da und dort angezündet, das zughörige Brauchtum aber ist verkümmert.
Von
Fronleichnam bis Allerheiligen tritt in den kirchlichen Festen eine merkliche
Pause ein. Die Ernte rückt bäuerlich-wirtschaftliche Interessen in den
Vordergrund. Doch auch diese Zeit strenger Arbeit war nicht ohne Freuden. Die
Getreideernte, der „Schnitt", zeigte dies: Nachbarn wetteiferten
miteinander, wer als erster den Gersten-, Korn- oder Weizenschnitt beenden
würde. Da blinkten die Sensen und flogen die Sicheln, und ein heller Jauchzer
verkündete den Sieger. Die Tenne wurde sauber gefegt und über Haselnusszweigen
in Kreuzform wurden die „Getreidestöcke" in den altüberlieferten Formen des
"Kranzes" und des „Legerers" aufgetürmt. Den krönenden Abschluss
der beschwerlichen Arbeit bildet das Schnittermahl, bei dem ein fettes
Schmalzkoch und Krapfen auf den Tisch kamen. Der Montag nach Michaeli (29.
September) hieß der „Lichtbratlmontag". Am nächsten Tag nämlich begannen
Schneider, Schuster, Tischler, Wagner und andere Handwerker die Lichtarbeit,
d.h. sie setzten im Herbst und Winter abends die Arbeit bei Licht fort. Am
Sonntag zuvor aßen sie das „Lichtbratl". Im Ybbstal durfte dabei auch das „Äpfelschlangel"
nicht fehlen.
Im
Spätherbst, fallweise auch im Winter, wurde die „Rockenstube" eröffnet und
es begann der „Rockensitz". Die Mädchen der Nachbarschaft kamen
nachmittags oder nach der Abendmahlzeit abwechselnd in benachbarten
Bauernstuben zusammen und spannen an ihren Spinnrocken. Dabei erzählten sie
nicht nur Neuigkeiten. Die Rockenstube wurde vielmehr zur Heimstätte uralter,
vielfach mündlich überlieferter Volkspoesie, wo man die „wundersamsten Sagen,
die duftigsten Märchen, die übermütigsten G'stanzl und Liedl" hören
konnte. Burschen waren von der Rockenstube ausgeschlossen, passten aber die
Mädchen auf dem Heimweg oft ab und erschreckten sie durch mannigfaltigen Lärm.
In den achtziger Jahren vereinsamten in vielen Gegenden die altehrwürdigen
Rockenstuben. Der nüchterne Zeitgeist ist in diese stillen lauschigen Räume
gedrungen und hat vielfach mit dem Spinnrocken zugleich auch die Zauberfäden
einer lieblichen Poesie zerstört. Auch andere Arbeiten, wie das
"Moststößen" (Obststampfen), Äpfel- und Rübenschälen, Krautabhäupten,
Federnschleissen und Brecheln, wurden von den Mägden gemeinsam verrichtet. Das
Vertreiben vorwitziger Besucher geschah handfest und brachte Kurz weil.
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