Nr. 182 - 1. Juni 1987 - 16.
Jahrgang
Arbeit und Leben der
ländlichen Handwerker des Mostviertels in früheren Zeiten
(Von Anton Distelberger, Mostviertler-Bauernmuseum)
Als ich 1972 begann, in meinem Vierkanthof das „Mostviertler
Bauernmuseum“ einzurichten (es ist mit über 5000 Exponaten das größte
bäuerliche Privatmuseum Österreichs geworden), trieb mich der Gedanke, die
Arbeits-, Wohn-, Brauchtums- und Glaubenswelt, die Kultur meiner Vorfahren und
teilweise meiner Jugend im Gedächtnis zu erhalten. Besonders wichtig sind mir
dabei neben den großartigen Dingen, wie Mostpresse, Dampfmaschine usw., die
vielen alltäglichen und auch hervorragenden Kleinigkeiten, die das Leben erst
ausmachen (Gebrauchs- und Ziergeschirr, Musikinstrumente, Tierfallen,
Waschgeräte, Schmuck, Beleuchtungskörper, Pfeifen und Raucherzubehör,
Votivgegenstände …).
Besonders wichtig ist mir dabei auch der Bezug der Menschen
zu den Gegenständen – die Umstände der Verwendung, der Erfindergeist bei ihrer
Einführung, die Handwerkskunst bei der Herstellung - und die vielfältigen
Beziehungen und Abhängigkeiten der Menschen untereinander.
So bestand eine sehr starke Beziehung zwischen den Bauern
und den ländlichen Handwerkern, weil sie sich einfach gegenseitig brauchten.
Ich begann daher, einen eigenen Raum zu schaffen, und von
den 12 Handwerkern, die für den Mostviertler Bauern am wichtigsten waren,
sämtliche Werkzeuge, ein Handwerkerschild und ein Bild der jeweiligen
Schutzheiligen zu sammeln und einzurichten; vom Zimmermann, Tischler, Wagner,
Binder, Rechen- und Schaufelmacher, Brunnenmacher, Gerber, Sattler, Schuster, Schmied,
Töpfer und Weber.
1. Der Zimmermann
1. Der Zimmermann
Funde von Rundholzbauten aus der Mittelsteinzeit (8000 –
4500 vor Christus) zeigen, dass das Zimmermannshandwerk wohl am frühesten seine
Verbreitung fand. Das einzige Werkzeug des Zimmermanns war über lange Zeit
hinweg die Hacke (aus Stein, dann aus Metall); später kamen durch die
Entwicklung der Zimmermannskunst die Säge und viele andere verfeinerte
Werkzeuge dazu, circa 50 davon sind heute in meinem Museum zu bewundern.
Im Zeitalter der Gattersäge weiß kaum jemand mehr, mit welch
großer Mühe und geringen Mitteln die Holzbauten in früherer Zeit geschaffen
wurden. Ein Zimmermann musste (wie die meisten anderen Handwerker auch) schon
sehr früh aufstehen, und mit seiner „Kraxn“ (eine hölzerne Kiste zum Umhängen,
in der das Werkzeug verstaut wurde) oft viele Kilometer weit zu Fuß zu seinem
jeweiligen Arbeitsplatz gehen, wo meist um 6 Uhr morgens begonnen wurde.
Der Handwerker selbst hatte meist nur ein recht kleines Haus
ohne eigener Werkstatt. Er arbeitete normalerweise bei den Bauern unter freiem
Himmel.
Der Zimmermann war selbständig; so ging ein Bauer, der ein
neues Gebäude plante, nicht zuerst zum Meister, der den Bau projektierte und
dann seine Leute schickte, sondern er nahm direkt mit „seinem“ Zimmermann
Kontakt auf. Umgekehrt wurden die Zimmerleute auch nicht von einem Meister
beschäftigt und bezahlt, sie hatten sich ihre Arbeit selbst zu suchen.
Erst spät entstanden lose Arbeitsverhältnisse zu Meistern
oder Firmen. Die ersten derartigen Firmen im Raum Amstetten wurden erst in der
zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gegründet (Fa. Hopferwieser – heute Umdasch
1868, Fa. Rauscher, Hausmening 1878).
Die erste Arbeit im Lauf eines Jahres wie auch bei der
Entstehung eines Holzgebäudes bzw. eines Dachstuhles war für den Zimmermann,
dass er in den ersten schönen Märztagen zu den Bauern „Holz aushacken“ ging. Es
gab ja noch keine Gattersägen, und so wurden die Stämme mit Hilfe von Äxten in
eine halbwegs kantige Form gebracht, indem vom Rundholz auf vier Seiten so viel
weggehackt wurde, dass ein annähernd rechteckiger Querschnitt übrigblieb. Es
war günstig, diese Arbeit im zeitigen Frühjahr zu tun, weil sich das frische
Holz wesentlich leichter bearbeiten lässt.
Wie beim Großteil all ihrer Arbeit waren hier nicht Zimmerleute
allein am werk. Der Bauer und seine Knechte arbeiteten fest mit; der Zimmermann
teilte die Arbeit ein und führte selbst die anspruchsvolleren Arbeitsgänge aus.
Um einen Stamm richtig „aushacken“ zu können, wurde er mit „Klampfen“
auf zwei Zimmerböcken befestigt. Dann wurde an den beiden Stellen, an denen
später „Geschnürt“ werden sollte, entlang des Stammes die Rinde entfernt. Bei
diesem „Schnurwerfen“ wurden längs des Stammes dort, wo in weiterer Folge
senkrecht hinuntergehackt werden sollte, Linien aufgetragen. Das geschah mit
Hilfe einer in Zimmermannsfarbe getränkten Schnur, die an den Stamm angelegt,
gespannt, in der Mitte angehoben und dann wieder losgelassen wurde, sodass sie
gegen den Stamm schnellte und dabei „schrieb“ – eine „schnurgerade“ Linie
(wiederum „Schnur“ genannt) hinterließ.
Entlang dieser „Schnur“ wurde dann das Holz an der
Außenseite des Stammes weggehackt. Der Bauer und seine Knechte arbeiteten grob
mit der schmalen „Bandhacke“ vor, der Zimmermann selbst nahm mit seinem
Breitbeil nur die letzten Millimeter ab; dies erforderte besondere
Geschicklichkeit, weil dabei eine ebene, glatte Fläche entstehen musste, die
fast wie gehobelt aussah, und nicht „über die Schnur gehauen“ werden durfte.
Nach dem Aushacken wurden die fertigen Balken zu einem Stoß
geschlichtet, damit sie sich beim Trocknen nicht so leicht verzeihen und
verwinden konnten. So warteten sie, bis die Zeit zum Abbinden und Aufsetzen
kam. Zumeist war es dann das Aufsetzen eines Dachstuhles. Für diese Tätigkeiten
brauchte man sehr viele Arbeitskräfte. Bei einem größeren Dachstuhl arbeiteten
drei bis vier Zimmerleute unter der Leitung eines Vorarbeiters oder Poliers mit
dem Bauern, seinen Knechten und vielen
hilfsbereiten Nachbarn zusammen. Wurde an einen bestehenden Bau angeschlossen,
mussten vor dem Abbinden zunächst dessen Dachweite und –neigung mit Hilfe langer
Latten abgenommen werden. Außerdem wurde der Grundriss des neuen Dachstuhls
genau vermessen. Dann wurde das sogenannte „Profil“ gemacht; das ist eine Art
Bretterboden, auf dem ein Zimmermann einen, oder wenn notwendig mehrere
Querschnitte des zu errichtenden Dachstuhls im Originalmaßstab aufriss, um
daraus verschiedene Detailmaße abnehmen zu können. Inzwischen wurde bereits
begonnen, die schweren Balken – den Bund – aufzulegen. Die Zimmerleute waren
damit beschäftigt, die genauen Längen, die Zapfen, Löcher usw. anzureißen, die
Helfer hatten viele Tage lang mit der Hand zu schneiden und zu stemmen, die
wesentlichen Teile wurden sofort zur Kontrolle zusammengestellt.
Am Tag nach Abschluss des Abbindens begann man schon sehr
früh mit dem Aufsetzen des Dachstuhls. Dazu lud man noch mehr Leute ein, die
auch gerne kamen, weil Aufsetzen immer mit Geselligkeit und einem kleinen Fest
verbunden war. Helfer schafften das Bauholz herbei und reichten es nach oben.
Die Zimmerleute nahmen es entgegen und begannen, den Bund auszulegen. Darauf wurden
dann Bretter gelegt, damit die Arbeiter sicher drauf gehen und weiterarbeiten
konnten. Nun konnte man beginnen, den Stuhl aufzurichten, die Pfetten (parallel
zum First verlaufenden Hölzer) aufzulegen und die Sparren (Hölzer, die die
Dachhaut tragen) anzunageln. Sobald es möglich war, begannen einige Leute an
einem Ende mit dem Aufnageln der Dachlatten.
Dies alles geschah wieder unter der Leitung des Vorarbeiters
oder Poliers.
Auch die Bäuerin war währenddessen nicht untätig; sie hatte
ja ein Festessen für den Abend zu kochen, ein Fichtenbäumchen mit Krepppapierbändern
zu schmücken und kleine „Aufsetzerbuschen“ aus Buchs und Papierblümchen für die
Hüte aller Arbeiter zu machen.
Wenn das Werk vollbracht, der Dachstuhl fertig war und der
Tag zur Neige ging, begann man schon an der Arbeitsstelle mit der kleinen
Feierlichkeit. Die Bäuerin brachte den Aufsetzerbaum und die Sträußchen, die
sie den Arbeitern ansteckte; der Bauer kam mit Most und Schnaps auf s Dach. Der
Polier nagelte das Bäumchen auf den höchsten Punkt des Dachfirstes, nahm den
Mostkrug in die Hand und trug einen „Aufsetzerspruch“ vor, in dem er in
einfachen, gereimten, oft auch humorvollen Worten die Arbeiten und das Werk
lobte, dem Bauherrn Glück wünschte und den Segen Gottes erbat. Ein Teil eines
Spruches des Zimmerpoliers Johann Geyer aus Gigerreith lautet z.B.:
. „Mir hab’ns verspranzt und verpfost‘.
dabei hat uns der Bauherr brav g’holfa mit’n Most“
… „Den Baum halt i in der rechten Hand,
der heilige Florian schütze den Dachstuhl
vor Feuer und Brand.“
… Drum soll unser Bauherr recht hoch leben,
und die Baufrau gleich daneben.
Hoch, hoch, hoch!“
dabei hat uns der Bauherr brav g’holfa mit’n Most“
… „Den Baum halt i in der rechten Hand,
der heilige Florian schütze den Dachstuhl
vor Feuer und Brand.“
… Drum soll unser Bauherr recht hoch leben,
und die Baufrau gleich daneben.
Hoch, hoch, hoch!“
Die Burschen jauchzten, alle tranken noch einmal vom Mostkrug,
und drei oder vier Zimmerleute ließen einen „Zapfenstreich“ ins abendliche
Dunkel hinaushallen; sie klopften dazu mit der Hacke im Takt auf eine Aststelle
am Dachstuhl, was weithin hörbar war.
Dann lud der Bauer in die Stube zum Essen. Es ging dabei hoch
her, oft gab es auch einen Aufsetzertanz.
Während die Zimmerleute in der warmen Jahreszeit sämtliche Außenarbeiten
verrichteten, gingen sie im Winter zu den Bauern auf die „Stör“, um Reparaturen
vorzunehmen, Leitern, Türln u.ä. zu machen, und Dachrinnen auszuhacken. Während
der Heu- und Schnittzeit hatten die Bauern keine Zeit, Handwerker zu
beschäftigen; die Zimmerer waren arbeitslos.
Der Patron der Zimmerleute ist der heilige Josef. Daher war
der Josefitag am 19. März ein Feiertag; die Zimmerleute arbeiteten nicht, sie
trafen sich nach dem morgendlichen Kirchgang im Wirtshaus, wo es sicher viel Lustiges
aus dem vergangen Jahr zu erzählen gab.
Viele Bräuche der Zimmerleute sind aber auch im Jahr 2021 aufrecht. In Steinakirchen wird am Josefitag 19. März um 9.30 Uhr eine feierliche hl. Messe für die Zimmerleute gefeiert.
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