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Das Jahr 1938 in Niederösterreich

Nr. 192 - 15 März 1988 - 17. Jahrgang

Das Jahr 1938 in Niederösterreich
(von Univ. Prof. Dr. Karl Gutkas)

Wenn man die Ereignisse in Österreich in den Märztagen l938 verstehen will, muss man auch das Ende des 1. Weltkrieges vor 70 Jahren, die Auflösung der österreichisch-ungarischen Monarchie und die Errichtung der Republik Deutsch-Österreich mit in Betracht ziehen. Damals wurden die Grundlagen für die politische, soziale und wirtschaftliche Situation der nächsten Jahrzehnte gelegt. Weite Teile der Bevölkerung hielten die Republik nicht für lebensfähig und strebten nach einem Zusammenschluss mit dem Deutschland der Weimarer Republik. Die Siegermächte verboten aber im Friedensvertrag den Anschluss und den Namen "Deutsch-Österreich".

Die wirtschaftliche und soziale Lage Österreichs war vor allem seit 1929 schlecht und durch eine große Zahl von Arbeitslosen gekennzeichnet. Unter diesem Eindruck entwickelten sich radikale Gruppen im politischen Leben, vor allem bewaffnete Verbände und die Nationalsozialisten als neue Partei. Diese gewann im Jahre 1932 bei den Landtagswahlen erstmals 8 Mandate und einen Regierungssitz. Zur gleichen Zeit begannen die Bemühungen von Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß zur Einführung einer neuen autoritären Verfassung. Am 4. März 1933 wurde das Parlament ausgeschaltet, dann die Vaterländische Front als Einheitspartei gegründet und die Parteien aufgelöst. Im Februar 1934 kam es zur Ausschaltung der Sozialdemokraten und am 1.  Mai 1934 zur Verkündung einer neuen autoritären Verfassung.

Der neue Weg wurde nur von einem Teil der Bevölkerung bejaht, mindestens die Hälfte stellte sich dagegen. Am 25. Juli 1934 wurde Dollfuß bei einem Putsch der Nationalsozialisten erschossen. Sein Nachfolger Dr. Kurt Schuschnigg ging den autoritären Weg weiter, der aber weiterhin von verschiedenen Seiten bekämpft wurde.

Da unterdessen die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernommen hatten, musste man sich mit diesen "Illegalen" auseinandersetzen. Am 11. Juli 1936 kam es erstmals zu einem Vertrag, der aber keine
Lösung der Probleme brachte. Hitler plante für das Jahr 1938 den Anschluss Osterreichs und die Ausschaltung der Tschechoslowakei. Ein erster Schritt dazu war die Unterredung mit Schuschnigg vom 12. Februar 1938 in Berchtesgaden, wo der österreichische Bundeskanzler den Nationalsozialisten große Zugeständnisse machen musste. So wurde der Nationalsozialist Dr. Arthur Seyß-Inquart Innenminister.

In der Folge spitzte sich die Situation so zu, dass sich Bundeskanzler Schuschnigg kurzfristig entschloss, für den 13. März 1938 eine Volksbefragung anzukündigen, in der Österreichs Bevölkerung über die weitere Selbständigkeit des Staates entscheiden sollte. Dies war sowohl für die deutsche Regierung als auch für die Nationalsozialisten im Lande der Anlass, die Machtergreifung einzuleiten. Am 10. März kam es zu  umfangreichen Besprechungen und Demonstrationen gegen die Abstimmung. Am folgenden Freitag, dem 11. März, wurde die österreichische Regierung durch deutsche Ultimaten gezwungen, die Abstimmung abzusagen.

Nach weiterem Druck trat Bundeskanzler Dr.  Schuschnigg zurück. dem Bundesheer wurde  befohlen, einmarschierenden deutschen Truppen keinen Widerstand zu leisten. Am gleichen Abend kam es zur Bildung einer nationalsozialistischen Regierung, während in fast allen Orten die Nationalsozialisten die lokale Macht ergriffen, Rathäuser besetzten und die bisherigen Amtsinhaber ausschalteten. Am folgenden Tag wurde auch die Landesregierung umgebildet.

Deutsche Truppen marschierten seit dem 12. März in Österreich ein und strebten nach Wien. Hitler kam selbst nach Linz. Hatte man vorher geglaubt, es werde eine lose Vereinigung der beiden Staaten geben, wurde nun der völlige Anschluss proklamiert und am 13. März ein Gesetz erlassen, demzufolge Österreich ein Land des deutschen Reiches wurde.

Bundespräsident Miklas, der dieses nicht beurkunden wollte, trat zurück. Auch die letzte österreichische Regierung gab es nur wenige Tage, da mit der Führung der Nationalsozialisten und der Vorbereitung der für 10. April vorgesehenen Volksabstimmung der saarländische Gauleiter Josef Bürckel betraut wurde.

Im Land Niederösterreich wurde eine neue nationalsozialistische Regierung unter der Führung des Gauleiters Dr. Roman Jäger eingesetzt. In fast allen Orten gab es neue Bürgermeister, auch die meisten Schuldirektoren wurden ausgewechselt. Eine gigantische Propagandawelle setzte ein, um die Volksabstimmung vom 10.
April vorzubereiten, als deren Ergebnis in Niederösterreich 99,4 % der Wähler für den Anschluss waren.

Unmittelbar nach dem 13. März setzte die Verfolgung politischer Gegner ein, viele wurden verhaftet, andere verloren ihre Posten. Am 1. April 1938 wurden hunderte österreichische Persönlichkeiten, darunter der Landeshauptmann Josef Reither und der Bauernbundirektor Dipl. Ing. Leopold Figl, in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Auch die Verfolgung der Juden setzte schon in den Anschlusstagen systematisch ein, sie wurden vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, ihre Geschälte mussten gekennzeichnet werden.

Nicht nur wer ein öffentliches Amt ausübte, sogar jeder Gymnasiast, musste vier arische Großeltern nachweisen können. Im November 1938 wurden die Synagogen zerstört, viele Juden in Konzentrationslager eingeliefert und über andere Berufsverbot erlassen.

Die Nationalsozialisten beanspruchten alle Bereiche des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens. Daher wurden auch die konfessionellen Privatschulen und Seminare geschlossen. Viele Vereine mussten sich auflösen. Auch die Jugenderziehung wurde ganz den neuen Ideen unterworfen, neben der "Hitlerjugend" duldete man keine Jugendorganisation.

Viele Änderungen gab es auf wirtschaftlichem Gebiet, wo durch Investitionen verschiedenster Art die Arbeitslosigkeit allmählich beseitigt wurde, andererseits aber auch die Aufrüstung große Kosten verursachte. Im Sommer 1938 wurde auch ein großes Gebiet bei Zwettl zu einem Truppenübungsplatz umgestaltet und die Bewohner ausgesiedelt.

Im Zuge der Umgestaltung Österreichs wurde anstelle des Namens "Niederösterreich" die neue Bezeichnung "Niederdonau" eingeführt und auf allen Gebieten deutsche Gesetze und Verwaltungspraktiken zur Geltung gebracht. Die Bezirkshauptmannschaften hießen nun Landrat, die deutsche Gemeindeordnung wurde eingeführt und die österreichische Gerichtspraxis allmählich abgeschafft. Die Veränderungen vorn März 1938 waren so tiefgreifend, dass sie bald auch zu weit gehender Ernüchterung führten. Widerstand machte sich aber nur vereinzelt geltend, da der Druck der Polizei sehr groß und die Strafen ungeheuer hart waren. Immer wieder wurden Widerstandsgruppen entdeckt und ihre Mitglieder in Konzentrationslager gebracht oder hingerichtet.

Mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges im September 1939 änderte sich die Situation völlig. Auch viele, die den Anschluss begrüßt haben, waren nun anderer Meinung. Besonders seit 1943 stieg die Sehnsucht nach der Eigenstaatlichkeit Österreichs, die Anschlussidee ist allmählich erloschen. Damit war der geistige Nährboden für das Wiedererstehen eines selbständigen Österreich geschaffen, das in den Apriltagen des Jahres 1945 errichtet werden konnte. Es war aber ein ganz anderes Österreich als das von 1938, denn nun wurde der demokratische Staat von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung begrüßt und bejaht.


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