Nr. 194 - 1. Mai 1988 -
17. Jahrgang
Der Most und sein Viertel - Eine Region stellt sich vor
Gedanken zur Präsentation des Mostviertels im Rahmen der NÖ Landesaustellung 1988 im Stift Seitenstetten (Von Peter Kunarth)
Wenn ein Land ein Getränk
– z.B. den Most – zu seinem Taufpaten erwählt, spricht das für seine Tradition,
spricht das aber auch für die Umgänglichkeit seiner Menschen. Oft wird er
scherzhaft als „Landsäure“ bezeichnet, es gab aber auch Zeiten, in denen der
„Most“ die Grundlage des Wohlstandes dieses schönen Landesteils von
Niederösterreich gewesen ist. Heute jedoch ist es weniger das Produkt „Most“,
das dieses Landesviertel für den Besucher anziehend macht, sondern es sind
vielmehr die für die Obstgewinnung notwendigen großen Mostobstbäume, die dieses
Land im Frühling zu einem Blütenkranz werden lassen.
Mit der Bezeichnung
Mostviertel kann sicher fast jeder etwas anfangen und man weiß, wo dieses Land
liegt; wenn allerdings jemand nach den Grenzen dieses Viertel gefragt wird,
wird er schwerlich eine eindeutige Antwort erhalten. Oft ist es das gesamte
Viertel ober dem Wienerwald, das als Mostviertel bezeichnet wird, oft wird auch
der landschaftlich gleichartige Bereich des benachbarten Oberösterreichs
miteinbezogen; oft wird nur der sanft hügelige Bereich der Region Amstetten mit
Teilen der politischen Bezirke Melk und Scheibbs darunter verstanden. Wie
schwer eine genaue Abgrenzung ist, zeigt dass der charakteristische Anbau von
Mostobstbäumen bis tief in die Eisenwurzen reicht und auch die für das
Mostviertel typische Form des Vierkanters teilweise im Raum ST. Pölten, aber
auch im Bergland von Kürnberg zu finden ist.
Wie man die Grenzen aber
auch immer sieht, es ist der Mostobstbaum, der in diesem Landesteil Tradition
hat und der die Landschaft dieses Viertels prägt. Es dürften die Kelten gewesen
sein, die erstmals ein haltbares vergorenes Getränk aus Birnen und Äpfeln
erzeugt hatten und dieses in unser Land gebracht haben. Der Bereich zwischen
Ybbs und Enns galt schon seit Jahrhunderten als Kernland eines ertragreichen
Mostobstbaues, da der fruchtbare Boden und das hügelige Gelände beste
Voraussetzungen für die Entstehung großer Mostwirtschaften geboten haben. Schon
in der Barockzeit wurde der Most als gesunder, kräftiger Trank gewürdigt und
die Pracht der blühenden Bäume wurde oft erwähnt. Aus den Kämmereirechnungen
des Stiftes Seitenstetten vom Jahre 1714 kann man ersehen, dass die Wirte schon
damals für ihren Umsatz eine Art Getränkesteuer, den Taz, zu leisten hatten.
Auch der Fiskus hat sich
etwa in dieser Zeit erstmalig für den Mostverkauf interessiert. Der steigende
Mostumsatz und die Wahrung gerechter Wettbewerbsbedingungen gegenüber dem Wein
waren die Ursache einer Versteuerung. Der Most war – im Gegensatz zu heute –
eine echte Konkurrenz für den Wein und das Bier. Es wurde damals schon sehr
viel Most gepresst, und eine Verordnung über die Neupflanzung von Baumalleen
zur Zeit Maria Theresias vergrößerte dann noch den Obstbaumbestand. Wie in
vielen anderen Sparten – zum Beispiel bei der Einführung des Kartoffelbaues im
Stift Seitenstetten um 1620 – waren es auch hier die Klostergärten, die sich um
die Obstbaumzucht besonders verdient gemacht haben. Die beginnende
Industrialisierung des 19. Jahrhunderts und das Anwachsen der Orte verhalfen
dem vergorenen Obstmost zu einer Hochblüte. Die Mostbauern transportierten
ihren Most mittels eigener Mostladewagen bzw. Schlitten in die Gasthäuser oft
weit entfernter Gebiete Niederösterreichs; auch auf dem Wasserweg, z.B. Auf der
Donau ab Wallsee wurde der Most flussabwärts durch das Weinland bis nach Wien
gebracht. Später gelangte der Most durch Bahntransport oder durch
LKW-Lohnfuhrwerke in weit entfernte Gebiete.
Aus den Erträgnissen
guter Mostjahre konnte in den landwirtschaftlichen Betrieben zusätzlich sehr
viel investiert werden. In guten Obstjahren übertraf diese Wirtschaftssparte
sogar den Ertrag einer durchschnittlichen Getreideernte. Durch den hohen
Mostabsatz profitierten aber auch andere Wirtschaftszweige, wie Zimmerer,
Binder oder Steinmetze. Die fortschreitende Technik vereinfachte durch
Verbesserung des Pressvorganges die Mostgewinnung. Die oft mit reichen
Schnitzornamenten versehen gewesenen Pressen
sind heute durch hydraulische Packpressen ersetzt. Aber selbst in
unserem technisierten Zeitalter muss jede Birne und jeder Apfel noch händisch
aufgeklaubt und in Säcke gefüllt werden. Es bedarf die Pflege der Fässer und
der Pressen, aber auch das Abfüllen und Lagern in den Kellern eines hohen Arbeitsaufwandes.
Die Bewohner des
Mostviertels sind sehr ausgeglichene und offene Menschen, voller
Freundlichkeit, doch auch voller Selbstbewusstsein, die immer noch oder auch
schon wieder diese mühevolle Arbeit zur Erhaltung der Kulturlandschaft dieses
Viertels auf sich nehmen. Es sind ja die großen und mächtigen Obstbäume, die
diese Landschaft prägen und die den eigentlichen Blickfang auf den weiten Feld-
und Wiesenflächen, die sonst nur durch kleiner „Waldschacherl“ oder Bachgehölze
unterbrochen sind, darstellen.
Aber auch die
Schutzfunktion der großen und mächtigen Mostobstbäume war vor allem im Bereich
der Baulichkeiten im Mostviertel immer schon anerkannt und genutzt worden. Es
wurde kein Gebäude – egal ob Vierkanthof oder kleine Kapelle – errichtet, ohne
dass unmittelbar daneben ein Baum gepflanzt worden wäre. Man hatte auch die
Rotten und Dörfer des Mostviertels mit Obstbäumen umgeben, um die starken
Kontraste der Silhouette der Häuser zu vermeiden, aber auch um einen Schutz vor
dem Wind und Wetter zu erreichen. Es wurde kein Bauwerk höher gebaut, als die umgebenden
Obstbäume an Höhe erreichen konnten. Es wurden nur Mostobstbäume oder andere
starkastigen Laubbäume gepflanzt, denn diese schützten im Sommer durch ihre
Belaubung das Bauwerk vor der Sonne und ließen im Winter im Gegensatz zu den
bei Bauwerken unüblichen Nadelbäumen mehr Licht zu den Fenstern durchfallen.
Der Vierkanter ist sicher
der eindrucksvollste Bauernhoftyp, den wir in Österreich kennen. ER beeindruckt
durch seine Größe, seine Symmetrie und doch einfache und vielfach ornamentarme
Bauweise. Die besondere Wirkung des Vierkanters im Mostviertel liegt in der
Wuchtigkeit seiner Erscheinungsform, aber auch in seiner betont freien
Situierung in der Landschaft, meistens inmitten der dazugehörigen Fluren. Trotz
dieser Lage sind die Höfe in die Natur, in die Landschaft eingeordnet und
eingebunden; man hat „landschaftsgebunden“ gebaut. Die Gebäude wurden auf das
Gelände abgestimmt und so entstand der Eindruck, als ob die Vierkanthöfe aus
der Landschaft herausgewachsen wären.
Der Grundsatz der natürlichen Ordnung im Bauen, der „Einheit im großen
und der Vielfalt im kleinen“ ist gerade bei den Mostviertler Vierkanthöfen
leicht erkennbar. Dieser vom Westen nach Niederösterreich kommende –
bajuwarische – Hoftyp ist in seinem Grundriss und seinen Gebäudeproportionen
fast überall gleich, in der Fassade gibt es aber eine Vielfalt im Detail, da
diese immer dem Zeitgeschmack unterworfen waren. So finden wir unter den
Mostviertler Vierkanthöfen äußerst reizvolle Jugendstilfassaden, aber ebenso
klassizistische oder aus der Barockzeit abzuleitende Elemente, die mit relativ
einfachen Gestaltungsdetails bis in das 20. Jahrhundert hinein verwendet
wurden.
Es wurde aber auch „Materialgerecht“
gebaut, das heißt, dass die Bauweise eines Hauses vom relativ engen Angebot der
Baumaterialien einer Gegend bestimmt war. Im westlichen Mostviertel waren es
meist die im eigenen Ofen gebrannten Ziegel, die durch ihre handwerkliche
Fertigung die Fassaden belebten. Erst in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts, einem Zeitraum, in dem der Wirtschaftszweig „Most“ besonders
blühte, wurden anstelle der bis dahin verwendeten geschlagenen, nun gebrannte
Lehmziegel verwendet. Nach Fertigstellung der Kaiserin Elisabeth-Westbahn waren
Arbeitskräfte, die des Ziegelbrennens kundig waren, freigeworden und
verbreiteten diese Technik im Mostviertel. Eine Besonderheit bilden dabei die
in betontem Schichtmauerwerk hergestellten Vierkanter des Enns-Donauwinkels
(Opus Romanum). Rote Ziegelscharen wechseln sich dabei mit fischgrätartig
verlegten Stein oder Schotterschichten, die durch eingelagerte, kalkverputzte
Bänder betont werden, ab. Im südlichen, zu den Voralpen zählende Bereich des
Mostviertels um den Kürnberger Wachtberg war auf Grund des Materialangebots bei
Vierkanthöfen ein Natursteinmauerwerk mit weiß hervortretender Verfugung
üblich. Dadurch entstand eine äußerst reizvolle natürliche Fassadengliederung
dieser Höfe.
Der durch die blühende
Mostwirtschaft entstandene Wohlstand des Mostviertels im 19. Jahrhundert ist
auch an der Umgestaltung der Bauernhöfe erkennbar. Bis Mitte des 19.
Jahrhunderts gab es noch kaum zweigeschossige oder besonders wuchtige
Vierkanthöfe, wie sie damals im oberösterreichischen Raum schon üblich waren.
Es waren oft nur Vierseithöfe, auch waren die meisten Gehöfte nur ebenerdig
errichtet und wurden erst damals aufgestockt. Das ist noch an den typischen
größeren Fenstern des Obergeschosses gegenüber dem Erdgeschossfenster erkennbar.
ES wäre aber sicher falsch, den Bereich des Mostviertels mit dem Gebiet des
Vorkommens des Vierkanters abzudecken. Man findet diesen in den Ebenen des
Donauraumes, aber auch in dem leicht hügeligen, flächig gegliederten
Alpenvorland, wie auch dem steileren Gelände des mit Wald durchsetzten
Voralpenbereichs. Der Übergangsbereich des Vierkanters in den Mischbereich des
Vierseithofes liegt östlich von Amstetten. Im Süden der Region Amstetten drängt
die Form des alpinen Streckhofes vom oberösterreichischen Voralpenraum herüber.
Zwischen Waidhofen und Gresten finden wir die einzigartige Form des
Doppel-T-Hofes. Im südlichen Bereich der Region Amstetten sind es die
reizvollen alpinen Paar- und Haufenhöfe, die gemeinsam mit der
Hammerherrenarchitektur der Eisenwurzen die Landschaft prägen.
Diese traditionelle
Ordnung der landschaftsprägenden Einzelgehöfte des Mostviertels wurde auch bei
den Bauformen der Sammelsiedlung des Mostviertels und der Eisenwurzen, bei den
Bürgerhäusern der Städte und Märkte, aber auch in den Dörfern und Rotten, in
denen die bäuerlichen Bauformen überwiegen, eingehalten und fortgesetzt. Diese
Ordnung drückt sich dort in der Harmonie der baulichen Ensembles aus. Sie
besteht zumeist in den gleichen Grundproportionen der Straßenfassaden der
Häuser, aber auch im Rhythmus oder Takt der Anordnung der Öffnungen der
Gebäude. Es gab und es gibt im Mostviertel keine Großstädte, die Gründung der
Siedlungen und Städte erfolgte in geschützten Standorten, sie erfolgte vor
allem an den für den Wohlstand der Region wichtigen alten Handelswegen.
Waidhofen an der Ybbs und
Ybbsitz als Beispiel genannt, wurden reich als Umschlagplatz und
Verarbeitungsstandorte für Eisen. Di heimliche Hauptstadt des Mostviertels,
Amstetten, erlebte seine große Entwicklung zum Schul- und Wirtschaftszentrum
erst viel später, ab der Errichtung der Eisenbahn. Es erreichten Märkte wie St.
Peter und Aschbach mit ihrer ländlichen, kleinstädtischen Bebauung einen
gewissen Reichtum durch ihre Lage inmitten des fruchtbaren Bauernlandes. Viele
Orte wie z.B. Strengberg oder Oed entstanden an den wichtigsten
Durchzugsstraßen, deren Bedeutung sich noch heute durch die geschlossenen
Reihen der vielfach stattlichen Häuser zu beiden Seiten der Bundesstraße
abzeichnete. Heute – nach Errichtung der Autobahn – haben kleine Orte und
Märkte viel von ihrer Bedeutung eingebüßt.
Die Brauchtumspflege
sowie die zahlreichen Ortsbild- und Dorferneuerungsaktionen haben das Leben in
diesen Orten in unserer Zeit wieder bereichert. Ein nicht auf das Mostviertel
beschränktes Problem ist dabei, dass Schulen in manchen Orten aufgelöst werden
mussten und Pfarren nicht mehr besetzt werden konnten, aber auch, dass Orte,
denen die Beziehung zueinander fehlt, zu größeren Verwaltungseinheiten
zusammengelegt wurden.
Besonders hervorzuheben
ist aber, dass die verschiedenen Formen der Kultur, die Hochkultur und die naive
Volkskultur bzw. das bodenständige Künstlertum im Mostviertel nicht wie zwei
fremde Welten aufeinanderprallen. Trotz der Verschiedenartigkeit dieser
Kulturbereiche, die vergleichbar ist mit den individuellen Charakteren der
Mostviertler Menschen, aber auch der Vielfalt der Landschaftsformen dieser
Region, haben sich diese unterschiedlichen Kulturkreise immer gegenseitig
ergänzt und befruchtet. Ebenso wie die im Mostviertel gar nicht so wenigen Schlösser
Vorbild für die vielen monumentalen und fast schlossartigen bäuerlichen
Vierkanthöfen gewesen sind, haben die Erbauer des einzigartigen barocken Meierhofes
des Stiftes Seitenstetten, in dem sich die Regionalausstellung befindet, die klassischen Formen des
Vierkanters von den bäuerlichen Betrieben übernommen.
Beeindruckend ist auch
die Fülle von kulturell hochwertigen Einrichtungen und Bauwerken im gesamten
Mostviertel. Hervorragende Kulturgüter sind z.B. die bedeutsame römische
Jupiter-Dolichenusstatue in Mauer, das romanische Kirchlein in Rems, das
einzigartige Margaretenfenster in Ardagger und die an gotischen Maßwerkformen
reichen Kirchen Weistrach oder Krenstetten, aber natürlich auch das große
Barockstift Seitenstetten und die Basilika am Sonntagberg. Durch adeliges Mäzenatentum sind zahlreiche
kulturelle Kleinode entstanden und das war wieder Vorbild für die Errichtung
der zahlreichen Kapellen und Bildstöcke durch das Bürgertum und die Bauern. Es
gibt kaum einen Landesteil, der so reich ist an Kleindenkmälern dieser Art, wie
z.B. die wuchtige und eher schlichte
Form der Kapellen des Mostviertels oder der sehr aufwendige und vielfältige
Kapellentyp der Eisenwurzen.
Naturnähe und Religiosität
waren für den Mostviertler Menschen immer untrennbar. Sie bildeten die
Grundlage des Lebens im Mostviertel und formten die wirtschaftliche Gegenwart,
die Politik, aber auch die Kultur des Landes bis heute mit. Sie waren Grundlage
für die Aufgeschlossenheit und das Selbstbewusstsein der Menschen in diesem
Landesteil.
Die diesjährige
Landesausstellung soll die Schönheit und die Reize unseres Mostviertels den
einheimischen und den fremden Besuchern bewusster machen.
Sie soll vor allem ein Schaufenster des Mostviertels sein und zu weiteren Besuchen in diesem Landesviertel und zum Genuss seines Getränks einladen
Sie soll vor allem ein Schaufenster des Mostviertels sein und zu weiteren Besuchen in diesem Landesviertel und zum Genuss seines Getränks einladen
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