Nr. 222 - 1. Juni 1990 - 19. Jahrgang
Schloss Seisenegg bei Viehdorf
(Heimo Cerny)
1. Lage, Alter und Name der Burg
Das Schloss liegt versteckt in einem schluchtartigen Taleinschnitt des
Seiseneggerbaches auf einem Felsrücken, der von natürlichen Gräben fast
allseitig umgeben ist. Südlich des Schlosses verengt sich das Tal zwischen den
bewaldeten Lehnen des Königsbergs und des Aichbergs zur Klause (Klausmühle), um
sich dann in Richtung Allersdorf ins Ybbsfeld zu öffnen. Dieser
verkehrstechnisch und strategisch günstigen Lage an einem uralten
Verbindungsweg zwischen dem Ybbsfeld und dem Donaustrom verdankt die Burg ihre
Entstehung. Bekanntlich war die Donau zwischen Ardagger und St. Nikola in
früheren Jahrhunderten nur unter Lebensgefahr passierbar, sodass das Engtal des
Strudens meist auf dem Landweg umgangen wurde. Die bequemste Route führte von
Ardagger über Viehdorf durch die Seisenegger Klause gegen Ybbs, wo man die
Schiffe wieder gefahrlos besteigen konnte.
Wann die Burg gegründet wurde und wer die ersten Besitzer waren, darüber
liegen keine schriftlichen Quellen vor. Aufgrund des baugeschichtlichen
Befundes und im Vergleich mit ähnlichen Burgentypen ist Seisenegg in seiner
ursprünglichen Konzeption wohl als Wehranlage des 12. Jahrhunderts einzuordnen.
Auch die Namengebung ist charakteristisch für Ritterburgen ab 1100: Das
Grundwort -egg geht auf ein althochdeutsches "ekke" zurück, im Sinne
von "winkelig zulaufender Geländeteil, vorspringender Fels". Das Bestimmungswort
Seisen- ist wohl der Genetiv des althochdeutschen Personennamens Suso
(Mitteilung von Dr. Elisabeth Schuster, Kommission für Mundartkunde und
Namenforschung der österr. Akademie der Wissenschaften). Man kann den Namen
aber auch mit dem Verbum "sausen" in Verbindung bringen: Sausen des
Windes, Rauschen des Baches. Etymologische Zuweisungen bleiben bis zu einem
gewissen Grad immer im Bereich des Spekulativen.
Die ältesten urkundlichen Nennungen lauten: Sisaneke (1267), Seusenekke
(1303), Sousenek (1330), Saussenek (1372), Seisnögkh (1470), Seysenegkh (1484).
2. Die Besitzerfolge
Was die Frühgeschichte von Seisenegg betrifft, so herrscht in der
bisherigen Literatur durch manche unrichtige Behauptungen einige Verwirrung:
Dass Seisenegg eine kuenringische Gründung gewesen sei, wie dies Schweickhardt
(Bd.8, S.248f.) angibt, oder dass "Herren von Säuseneck" sich am 1.
Kreuzzug beteiligt hätten, wie dies bei A.Schwettcr (S.220) zu lesen ist, muss
ins Reich der Fabel verwiesen werden. Es gibt hierfür keinerlei urkundliche
Belege!
Nun zu den belegbaren Tatsachen: Als erster nachweisbarer Besitzer der
Burg begegnet uns um 1267 der Ritter HEINRICH DE SISANEKE (FRA 11/81, S.53,
Nr.72). Er war Landgerichtsherr im oö. Machland (Bezirk Perg) und somit eine
prominente Persönlichkeit. Welcher Adelsfamilie er angehörte, geht aus der
urkundlichen Nennung leider nicht hervor. Für die nachfolgenden Jahrzehnte
sind uns die Namen der PIBER, der SUMERAUER und der PEIGER als Inhaber der Burg
überliefert. Von 1303 bis 1483 war Seisenegg in den Händen der mächtigen
WALLSEER, die als Günstlinge der Habsburger zwischen Böhmerwald und Istrien
überreichen Besitz erwarben. Da die Wallseer die Burg nicht ständig bewohnten,
übertrugen sie die Burghut (Pflegschaft, Verwaltung) ihren ritterlichen
Gefolgsleuten, den ALINDORFERN, die sich bald stolz SEISENEGGER nannten,
obwohl sie die Burg niemals als persönliches Eigentum besaßen!
Nach dem Aussterben der Wallseer erwarben die aus Kroatien stammenden
Ritter von LAPPITZ die Herrschaft Seisenegg, um sie ein Jahrhundert lang erfolgreich
zu verwalten (1491-1588). Anschließend fiel Seisenegg auf dem Erbwege
kurzfristig an Christoph von SCHALLENBERG (1589-1591) und Albrecht ENENKEL von
Albrechtsberg (1592-1598).
Unter den Freiherrn von GREIFFENBERG (1.5981673) wurde die
mittelalterliche Burg zum repräsentativen Renaissanceschloss umgebaut, in
welchem 1633 die größte deutsche Barockdichterin, CATHARINA REGINA VON
GREIFFENBERG, das Licht der Welt erblickte. Sie schuf hier den Großteil ihrer
Werke, ehe sie - wegen ihres protestantischen Glaubens bedrängt - nach Nürnberg
emigrierte. 1673 erwarben die aus Tirol gebürtigen katholischen Freiherren von
RISENFELS das Schloss, in deren Händen es bis ins 20. Jahrhundert verblieb. Mit
dem Tod des Barons Philipp v. Risenfels am 13.1.1932 erlosch das Geschlecht im
Mannesstamm. Eigentümer von Seisenegg wurden nun die Töchter MELANIE ( + 1984)
und MARIANNE ( + 1986). Da die beiden keine leiblichen Nachkommen hinterließen,
fiel ihr Erbe an deren Adoptivsöhne DR. ERNST ÜBLACKER-RISENFELS und HANS BAAR
VON BAARENFELS, die das Schloss Seisenegg heute (1990) besitzen.
3. Die Herrschaft Seisenegg
Bis zum 13. Jahrhundert war Seisenegg ein kleiner Ansitz ritterlicher
Gefolgsleute (Ministerialen) ohne nennenswerte obrigkeitliche Kompetenzen.
Erst unter den Wallseern (14.-15. Jh.) und den Lappitz (16. Jh.) vollzog sich
eine systematische Herrschaftsbildung durch gezielten Erwerb von
Grundobrigkeit, Vogteien, Zehen- ten, Robottgeldern, Jagd- und Forstobrigkeit,
Fischweiden, Gerichtsbarkeit, Kirchtagsbehut etc. Im ältesten Besitz- und
Einkünfteverzeichnis, dem "Wallseer Urbar" (1449) hat Seisenegg
bereits zahlreiche Untertanen im Bereich Amstetten, Dingfurt, Eggersdorf,
Euratsfeld, Greimpersdorf, Haberg, Kollmitzberg, Leutzmannsdorf, Matzendorf,
Mauer, Neustadtl, Preinsbach, Viehdorf und Zeillern. Auch zwei Donauübergänge,
die alten Urfahre am "Saurüssel" (gegenüber Tiefenbach) und bei
Dornach (gegenüber Ardagger) gehörten zur Seisenegger Herrschaft. Vogteirechte
wurden geltend gemacht über die Kirchen in Amstetten, Ardagger, St.Agatha
(Eisenreichdornach), St.Georgen am Ybbsfeld, Steinakirchen am Forst, Gresten
und Lunz. Die wichtigen Verkehrswege von der Donau ins Ybbs- und Erlauftal
lagen somit im Einflußbereich der Herrschaft Seisenegg. Im Jahr 1704
unterstanden der Seisenegger Grundobrigkeit 229 Häuser, im Jahr 1837 befanden
sich 4.728 Personen im Untertänigkeitsverhältnis.
Ein Großteil des heutigen Bezirks Amstetten unterstand 435 Jahre lang
(1413-1848) dem Landgericht Seisenegg, jener Jusidiktion, die über die grundherrliche
weit hinausging und die Blutgerichtsbarkeit umfaßte. Im Jahr 1413 verlieh
Herzog Albrecht V. dem damaligen Inhaber der Herrschaft Seisenegg,
Reinprecht II. v. Wallsee, einen großräumigen Landgerichtssprengel, der
bis ins obere Ybbstal (Opponitz, Lunz) reichte. Das Hochgericht mit dem Galgen
für die Malefikanten befand sich am Ybbsfeld an der Reichspoststraße zwischen
den Dörfern Hart und Dingfurt. Wertvolle Aufschlüsse über die Seisenegger
Strafrechtspflege geben ein bislang unveröffentlichtes
"Banntaidingbuch" (1413/1484) sowie eine Anzahl noch erhaltener
Prozeßakten ab dem Jahr 1585. Im Jahr 1591 gehörten zum Landgericht Seisenegg
2.200 Häuser. Im Jahr 1823 erstreckte sich die Seisenegger Jurisdiktion auf 11
Pfarren mit 1086 Häusern und insgesamt 6143 Seelen.
Am 7. Sept.1848 erlosch mit dem Patent Kaiser Ferdinands I. über die
Aufhebung der Untertänigkeit auch für die Herrschaft Seisenegg jegliche
obrigkeitliche Kompetenz. An die jahrhundertelange Epoche der Grundherrschaft
und Gerichtsbarkeit erinnern im malerisch verwinkelten Schlosshof heute noch
die Zehentwaage und die doppelreihige Galgenleiter!
4. Baugeschichte
In den Verkaufsurkunden von 1303 (OÖUB IV, S.436ff.) erfahren wir, dass
Seisenegg eine Doppelburg war, bestehend aus einem älteren
"Burgstall" und einem vermutlich jüngeren "Haus". Die
beiden Objekte waren ursprünglich durch einen Graben voneinander getrennt und
mit eigenen Ringmauern umgeben. Unter den Wallseern wurden die zwei Wehranlagen
dann zu komfortablen Wohnburgen ausgebaut, die den gehobenen Ansprüchen dieses
illustren Geschlechtes angepasst waren. In der einen Burg residierten die
Wallseer als Eigentümer selbst, in der anderen logierten die
Alindorfer-Seisenegger als deren Burggrafen (Verwalter, Pfleger). Reinprecht I.
von Wallsee ließ um 1350 die geräumige gotische Katharinenkapelle errichten.
Der erst 1971 wiederentdeckte qualitätvolle Freskenschmuck steht dem Wiener
Werkstattkreis nahe.
Im Urbar von 1484 werden die beiden Baukörper erstmals als "Gschloss"
(ehem. "Burgstall") und "Veste" (ehem. "Haus")
bezeichnet. Seit dem 16. Jahrhundert unterschied man dann stets zwischen ALTEM
UND NEUEM SCHLOSS, was bis heute üblich blieb.
Die erste bildliche Darstellung von Seisenegg verdanken wir der
Topographie von G.M.Vischer 1672. Hier sehen wir das Schloss bereits als
einheitliche Anlage, obgleich die ursprüngliche Konzeption der Doppelburg
trotz des mittlerweile aufgeführten Verbindungstraktes noch deutlich zu
erkennen ist. Vom Charakter der mittelalterlichen Wehranlage ist freilich nur
mehr wenig übriggeblieben, denn Johann von Greiffenberg, der die Burg 1598
erworben hatte, ließ sie großzügig im Renaissancestil umbauen und erweitern.
Im Wesentlichen entspricht die Darstellung Vischers auch noch dem
heutigen Aussehen des Schlosses.
Im Jahr 1923 wurde Seisenegg von einer Einsturzkatastrophe heimgesucht:
Am 19. Juli, um sieben Uhr abends, brach das ALTE SCHLOSS in sich zusammen. Das
Mauerwerk stürzte teils in den Schlossgraben, teils verschüttete es den kleinen
Innenhof mit dem 20 m tiefen Brunnen. Die Aufräumungsarbeiten durch die
Amstettner Firma Wawrowetz dauerten vier Wochen. Das Altschloss wurde aber
nicht mehr aufgebaut, sondern lediglich notdürftig abgesichert, um einen
weiteren Einsturz zu verhindern. Seither ist es eine unbewohnbare Ruine. Allerdings
wurde in den 60er Jahren der Berchfrit mustergültig renoviert, neu eingedeckt
und somit vor dem drohenden Verfall gerettet.
Quellen und Literatur:
F.X.SCHWEICKHARDT VON SICKINGEN, Darstellung des Erzherzogtums
Österreich unter der Enns, Bd.8 (1837); ANTON SCHWETTER, Heimatskunde der
k.k.Bezirkshauptmannschaft Amstetten (Korneuburg 1884); MAX DOBLINGER, Die
Herren von Wallsee, AÖG 95 (1906); HEIMO CERNY, Catharina Regina von Greiffenberg,
geb. Freiherrin von Seisenegg (Amstettner Beiträge 1983); ELGA LANC, Die
mittelalterlichen Wandmalereien in Wien und Niederösterreich (Wien 1983); ERICH
LEHNER, Burgkapellen in Niederösterreich (Diss.Wien 1985); FRANZ STEINKELLNER,
Alindorfer - Seisenegger - Meilersdorfer (unveröffentlichtes Typoskript); HEIMO
CERNY, Abriß der Geschichte von Schloss und Herrschaft Seisenegg
(unveröffentlichtes Typoskript). - Für die Benützung des SEISENEGGER SCHLOSSARCHIVS
bin ich den Eigentümern zu Dank verpflichtet. Wertvolle Hinweise und Auskünfte
verdanke ich Frau DR.ELISABETH SCHUSTER (Kommission für Mundartkunde und
Ortsnamenforschung bei der österr. Akademie der Wissenschaften) sowie dem
Burgenfachmann HERBERT PÖCHHACKER (Scheibbs).
"ERNST ÜBLACKER-RISENFELS und HANS HAAR VON HAAREN FELS, die das Schloss Seisenegg heute besitzen" ist eine Angabe von 1990, die in zwei Punkten zu berichtigen ist. Der eine der beiden Adoptivsöhne von Melanie Habsburg-Lothringen heißt richtig Johannes Baar von Baarenfels (nach österreichischem Recht ohne "von");
AntwortenLöschenund die beiden sind längst nicht mehr Besitzer von Seisenegg. 2005 erwarb Maximilian Mautner-Markhof das Schloss.