Nr. 275 - 15. Oktober 1993 - 21. Jahrgang
Mostviertler Presshäuser - Verborgene
Kostbarkeiten naiver Architektur
(Prof. Mag. Dr. Heimo Cerny)
Im breiten Spektrum der sogenannten naiven Architektur in
Niederösterreich wurde den Presshäusern und Kellerstöckln (auch
"Reibnstöckl" genannt) bisher kaum Beachtung geschenkt. Selbst in
Johann Kräftners Standardwerk "Naive Architektur" (Verlag NÖ
Pressehaus, St. Pölten 1987) findet das Mostviertler Kellerhaus nur marginale
Erwähnung und ist lediglich mit einem einzigen Bildbeispiel vertreten.
Im Gegensatz dazu wurden die Kellerhäuser und -gassen des Weinviertels
und der Wachau längst als Kostbarkeiten ländlicher Bauweise erkannt und
eingeschätzt. Das mag vielleicht daran liegen, dass Niederösterreich in erster
Linie ein Weinland ist und da-her die Weinbaugebiete als weitaus attraktiver
gelten als die Mostregionen. Holt sich doch jeder Weinkenner sein gutes Tröpfchen
bei "seinem" Weinhauer in der Kellergasse, wo es bekanntlich auch am
besten schmeckt! Wer aber fährt heute noch zu seinem Mostbauern? Die Presshäuser
und Kellerstöckl des Mostviertels sind - mit ganz wenigen Ausnahmen -
funktionslos geworden, während sie im Weinviertel noch immer ihren Zweck
erfüllen.
Die Mostviertler Presshäuser sind imposante Baukörper - mitunter wahre
"Mosttempel" - meist zweigeschossig, und in ihren Proportionen den
mächtigen Vierkantern harmonisch angepasst. In der Haager Gegend vornehmlich in
Sichtziegelbauweise, rund um Amstetten meist gekalkt oder gefärbelt, mit
originellen Fassaden und Fensterformen sowie geschnitzten Toren. Erbaut wurden
die meisten im Verlauf des vorigen Jahrhunderts, im "Jahrhundert des
Mostes", als jeder Vierkanter noch von 500 bis 1000 Obstbäumen umgeben war
und jährlich hunderte Eimer (1 Eimer = 56 Liter) Most gekeltert wurden. Es sind
reine Zweckbauten, die notwendig wurden, wenn das Haus selbst zu wenig Platz
für die aufwendige Mostproduktion bot und der hauseigene Keller sich als zu
klein oder zu wenig tief erwies.
Seit der Bauernbefreiung 1848 war die Mosterzeugung für viele Landwirte
dieser Region zum Haupterwerbszweig geworden, gewinnbringender als Viehzucht
und Getreidebau. Der volle Mostkeller war die beste Sparbüchse, der Mostverkauf
an die Gastwirte der näheren, aber auch weiteren Umgebung - sogar Wien und
Salzburg wurden beliefert - wurde zur Quelle des Wohlstands. Die meisten
Vierkanthöfe erhielten damals durch Aufstockung oder gänzlichen Neubau ihr
heutiges Aussehen. Die Erinnerung an diese "Mostviertler Gründerzeit"
ist in der bisweilen noch zu hörenden Redensart "Diese Häuser hat der Most
gebaut!" lebendig geblieben.
Im geräumigen Presshaus befanden sich ebenerdig die zur Mostbereitung
notwendigen, ausladenden Gerätschaften: Die mächtige, aus Granit gehauene
"Birnreibn" (daher der Name "Reibnstöckl" für das Presshaus),
deren schwerer Walzenstein im kreisförmigen "Rollnursch" das Obst mit
Pferdekraft zerquetschte. Mit Eimern und Schaffeln wurde die Maische sodann in
die Presskarre befördert. Prunkstück der Presskammer war die meist kunstvoll
verzierte Druckbaumpresse, von welcher der frische Saft mit einem Schlauch
direkt in die Fässer des darunterliegenden Kellergewölbes geleitet wurde. Das
Obergeschoß fand als zusätzlicher Getreidespeicher ("Troadkasten'')
Verwendung.
Wiederum im Gegensatz zu den Weinviertler Presshäusern, die in den
Kellergassen zu ganzen Ensembles zusammengewachsen sind und eigene
Kellerviertel bilden, sind die Mostviertler "Reibnstöckl" nur
vereinzelt und keineswegs bei jedem Vierkanthof anzutreffen. Meist liegen sie
abseits der Höfe im Schatten jahrhundertealter Birnbäume, von Hollerstauden
oder wildem Wein überwuchert, von modernen Lager- und Maschinenhallen
verdrängt. Dem primären Gesichtsfeld oftmals entrückt, sind sie mit dem
richtigen "G'spür" dennoch nicht allzu schwer zu finden entlang der
Moststraßen im Bezirk Amstetten.
Seitdem der Mostkonsum in den letzten Jahrzehnten mit steigendem
Wohlstand rapide zurückgegangen, ja fast gänzlich erloschen ist, sind auch die
meisten Presshäuser funktionslos und überflüssig geworden, denn zur Herstellung
eines Fässchens Haustrunk für die kleingewordene bäuerliche Familie sind heute
keine Presshäuser mehr vonnöten. Zum Teil wurden sie ohnehin schon abgetragen,
teils hat man sie zu Garagen oder Lagerräumen umgebaut, teils dämmern sie in
pittoresker Verwahrlosung ihrem weiteren Verfall entgegen. Freilich bestätigt
auch hier die Ausnahme die Regel, und man ist überrascht, hin und wieder ein
stilgerecht renoviertes Kellerstöckl zu Gesicht zu kriegen. Im Idealfall ist es
zu einem urigen Mostheurigen adaptiert worden.
Eine Bestandsaufnahme aller noch existierenden Presshäuser des
Mostviertels wäre ein Gebot der Stunde, um zu retten, was noch zu retten ist.
In der reichen Kulturlandschaft des Mostviertels sollte das Bewusstsein geweckt
und gestärkt werden, dass diese alten Kellerhäuser als höchst reizvoller
Kontrapunkt zu den prachtvollen Vierkanthöfen unbedingt erhaltenswürdig sind!
Eine repräsentative Auswahl für die Vielzahl erhaltenswerter Press- und Kellerhäuser im Bezirk Amstetten:
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Abbildung 1 - Eisenreichdornach |
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Abbildung 2 - Preinsbach |
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Abbildung 3 - Flachsberg (Strengberg) |
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Abbildung 4 - Bei Haag |
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