Nr. 318 - 1. März 1997 - 22. Jahrgang
Die Römer in Kleingreinsfurth -
Gymnasiasten als Archäologen (Dr. Heimo Cerny)
Im Rahmen eines Unterrichtsprojektes
(„Ostarrichi vor 996") am Bundesgymnasium Amstetten wurde mit
Unterstützung des Bundesdenkmalamtes Ende Juni l995 in Kleingreinsfurth
(Gemeinde Winklarn) eine archäologische Grabung durchgeführt, wobei die
Überreste eines römischen Gutshofes freigelegt werden konnten.
Vorgeschichte
Bei Bauarbeiten anlässlich der Verlegung
einer Erdgaspipeline durch die EVN war man im Sommer 1994 im Bereich der
Ybbsterasse südlich von Amstetten in Kleingreinsfurth auf einen römischen
Siedlungshorizont gestoßen. Im Profil der Künette zeigten sich Estrichreste.
Fragmente von Tuffsteinmauerwerk und Verfärbungen von Siedlungsgruben.
Hobbyarchäologe Gunther Hüttmeier, der die Erdbewegungen aufmerksam verfolgte,
erstattete Meldung beim Bundesdenkmalamt. Das von ihm sichergestellte Fundgut
(Bruchstücke von bemaltem Wandputz, Ziegelbruch, Keramik - darunter auch Terra
Sigillata - und eine Bronzefibel) sowie die Ausdehnung der Fundstelle veranlassten
die Sachverständigen des Denkmalamtes, das neu entdeckte Objekt als römischen
Gutshof (Villa rustica) zu interpretieren.
Die entsprechende Parzelle Nr. 588/2
(Grundeigentümer: Hans und Edeltraud Wurz, Kleingreinsfurth 8, 3300 Winklarn)
wurde daraufhin am 11. Mai l995 mit folgender Begründung unter Schutz gestellt:
"Die 1994 bei Greinsfurth entdeckten römischen Gebäudereste stellen einen
der bedeutendsten archäologischen Neufunde der letzten Jahre im Bezirk Amstetten
dar. Die unversehrte Erhaltung der hier unter der Erdoberfläche verborgenen
archäologischen Funde und Befunde liegt wegen ihrer geschichtlichen und
kulturellen Bedeutung in öffentlichem Interesse. Im westlichen Niederösterreich
ist zwar durch kleinere Ausgrabungen eine größere Anzahl derartiger
Gutsbetriebe bekannt, doch fehlen moderne wissenschaftliche Untersuchungen, die
Aufschluss über ihre Funktion und innere Struktur gestatten würden. Aus dem
Ortsgebiet von Winklarn selbst fehlen alle derartigen Nachweise, obwohl
römische Grabfunde seit dem 19. Jh. bekannt sind." Auf Anregung von Prof.
Dr. Heimo Cerny erwirkte die Direktion des BG Amstetten beim Bundesdenkmalamt
eine Grabungsbewilligung mit dem Ziel, die römischen Gebäudereste im Rahmen
eines Unterrichtsprojektes systematisch zu bergen. Auch die Schulbehörde gab
grünes Licht für das Archäologieprojekt der Amstettner Gymnasiasten. Die
Finanzierung wurde vom Unterrichtsministerium (Kulturservice) übernommen, die
Ostarrichi-Kaserne des Österreichischen Bundesheeres stellte einen Bagger und
Schanzgerät zur Verfügung, die Amstettner Pfadfindergruppe half mit Zelten aus,
und die Firma Römerquelle (nomen est omen!) sponserte die Getränke für die
durstigen Hobby-Archäologen. Organisatorische Unterstützung leistete dankenswerterweise
auch der Regionalverband Mostviertel-Eisenwurzen.
Die Grabung
In den letzten 10 Tagen (19.-29.Juni) des
auslaufenden Schuljahres 1994/95 begaben sich 20 hochmotivierte Schüler der 7c
Klasse auf die mit Spannung erwartete historische „Schatzsuche". Die
örtliche Grabungsleitung besorgten zwei Studenten der Ur- und Frühgeschichte im
Auftrag von Mag. Franz Sauer, Bundesdenkmalamt Wien, Abteilung für
Bodendenkmale.
Auf der bereits durch Baggerung
abgetieften Fläche (der Humus war vollständig entfernt) wurde ein L-förmiger
Schnitt ausgesteckt, der sowohl die Grube der Pipeline als auch eine Fläche
parallel dazu erfassen sollte. Der N-S-orientierte Schnitt maß 13x3 m und der
normal darauf südöstlich anschließende maß 12x3 m. Im südöstlichen Teil zeigte
sich nach einer Abtiefung von etwa 20 cm eine in der lehmigen Erdschicht
eingebettete, künstlich angelegte Schmierung aus ca. 5 - 10 cm Flusssteinen,
die sorgfältig freigeputzt wurden und schließlich als Rollierung (Unterboden)
der vermuteten römischen Villa erkannt werden konnten. Der gesamte Schnitt
wurde fotografisch und zeichnerisch dokumentiert, das Fundgut nach
Quadratmetern aufgenommen und die Fundgruppen (Tuffstein, Mörtelbrocken,
bemalte Wandputzfragmente, Keramik, Metalle, Knochen etc.) entsprechend
getrennt. Die Hauptmasse der Funde besteht aus Keramik- und Ziegelbruchstücken,
die nach der Bergung jeweils sorgfältig gewaschen und beschriftet wurden.
Erheblich beeinträchtigt wurde die Grabung
leider durch zeitweiligen starken Regen, sodass die Grabungsstätte des öfteren
zur Gänze unter Wasser stand und mühsam wieder trockengelegt werden musste!
Trotz der nicht immer günstigen Wetterbedingungen herrschte optimales
Arbeitsklima, und die Schüler nahmen nicht unbeträchtliche Strapazen auf sich.
Erfreulicherweise war auch die Hilfsbereitschaft der Anrainer und vor allem das
kooperative Entgegenkommen des Grundbesitzers und seiner Familie.
Auswertung und Ergebnis
Das von den Schülern geborgene und
sorgfältig gereinigte Fundgut wurde dem Bundesdenkmalamt zur Begutachtung
übergeben. Der mit der wissenschaftlichen Auswertung beauftragte Archäologe Dr.
Reinhardt Harreither - auch ein ehemaliger Schüler des BG Amstetten - kam zu
folgendem Ergebnis:
Die zahlreich vorkommenden Tuffstücke,
Mörtelbrocken und Ziegelfragmente, von denen einige Fingermarken tragen,
stammen wohl von einem gemauerten Gebäude der römischen Kaiserzeit, ein
Wandputzfragment mit roter Wandmalerei deutet sogar auf eine gehobene
Ausstattung hin. Der Großteil der geborgenen römischen Keramik ist sogenannte
Gebrauchskeramik, die lokal hergestellt worden ist. Es konnten zwei überwiegend
vorkommende Warengattungen ermittelt werden: Ware A = Scherben außen hell bis
orange, Kern grau, mit groben Quarzkörnern. Ware B Scherben hell bis orange,
ohne grauen Kern, mit kantigen Quarzkörnern. Ein erheblicher Anteil der etwa
250 Keramikbruchstücke weist Verzierungen auf, wie Wellband-, Besenstrich-,
Kammstrich- und Rädchendekor. Neben der überwiegenden heimischen
Gebrauchskeramik ist in geringem Maße auch Importkeramik (Luxusware) vertreten:
sogenannte Rätische Ware sowie süd- und mittelgallische Terra Sigillata.
Insgesamt lässt sich die römische
Keramik in den Zeitraum spätes 1. bis
spätes 2. Jh. n. Chr. datieren. Spätantikes und frühmittelalterliches
Scherbenmaterial ist nicht vorhanden.
Nach Abschluss der Grabung am 30.6.1995
wurde der neben der Grabungsstelle angehäuftes Humus, der bereits ein Jahr
zuvor im Zuge der Pipeline-Verlegung abgeschoben war, wieder über dem
Grabungsareal mit einer Schubraupe planiert. Aus dem Aushubmaterial (Abraum)
konnte Hobbyarchäologe Karl Kremslehner noch zusätzliche beachtenswerte
Fundstücke bergen; einen Silber-Denar JULIA MAMAEA (um 220 n.Chr.), eine
Bronze-Fibel mit Stützplatte, eine Doppelknopffibel aus Bronze (typischer
Bestandteil der römischen Frauentracht) sowie zwei Bleirollen (zum Beschweren
von Fischernetzen). Von Dr. Cerny wurde noch ein Eisennagel und ein Eisenmesser
aufgesammelt. Über diese außerhalb der Grabungskampagne getätigten Funde wurde
ordnungsgemäß ein Fundbericht verfasst und am 17.8.1995 dem Bundesdenkmalamt
übermittelt.
Die Tatsache, dass im gesamten
Grabungsareal lediglich eine einzige Münze zum Vorschein kam, lässt vermuten, dass
der römische Siedlungsplatz in der Spätantike bzw. zur Zeit der Völkerwanderung
einer systematischen Plünderung und Zerstörung zum Opfer gefallen ist.
Hinweise auf eine römische Siedlung im
Raum von Greinsfurth waren bisher nicht bekannt. Allerdings wurde im Jahr 1907
im damals trockengelegten Ybbsbett an der Einmündung der Url ein römischer
Grabstein (Stele) mit figuraler Darstellung gefunden. Das Amstettner
Wochenblatt berichtete darüber am 2.11.1907:
„Ein römisches Grabdenkmal in der Ybbs
nächst Greinsfurth, woselbst gegenwärtig beim Wehr des Amstettner
Elektrizitätswerkes an der Herstellung eines Uferschutzbaues gearbeitet wird,
machte der leitende Ingenieur dieser Tage einen interessanten Fund. Es ist dies
ein kolossales antikes Grabdenkmal aus Granit mit figuralem Schmuck. Das
viereckige Grabmal lag fast vollständig im Schotter eingegraben, in der Mitte
des zum großen Teile jetzt trocken liegenden Flußbettes an der Einmündung des
Urlflusses in die Ybbs. Der Grabstein ist 150 Zentimeter hoch, 83 Zentimeter
breit und 20 Zentimeter dick und hat ein Gewicht von zirka 600 Kilogramm. Er
ist trotz jahrhundertelanger Lagerung im Flusse noch recht gut erhalten. Die
eingegrabene Epitaphschrift ist wohl nur mehr in schwachen Spuren zu erkennen:
indessen haben die bildlichen Darstellungen im oberen Drittel des Steines nur
geringen Schaden genommen. Sie zeigen im Hochrelief das Brustbild eines Römers
mit Tunika und Toga und einer Römerin, dann zwischen beiden 38 Zentimeter hohen
Figuren dasjenige eines Kindes. Jedenfalls ist das Grabrelief der besseren Zeit
der römischen Kunst angehörig. Der Gasthofbesitzer Herr Schwaighofer in
Greinsfurth ließ das Grabdenkmal ausheben und zu seinem Haus schaffen....
Gegenwärtig befindet sich der Grabstein
unter der Bezeichnung "Stele, Ehepaar mit Kind" im Depot des
Archäologischen Museum Carnuntiunum in Bad Deutsch-Altenburg. Dieser bis dato
völlig isoliert erscheinende Einzelfund aus dem Jahr 1907 kann nunmehr
schlüssig in Zusammenhang mit einer römischen Siedlung (vicus?) in
Kleingreinsfurth gebracht werden. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit
anzunehmen, dass sich auf dieser überschwemmungssicheren Ybbsterrasse gegenüber
der Url Einmündung nicht nur ein einzelner römischer Gutshof befunden hat. Das
geübte Auge des Archäologen kann im Gelände einen umfangreichen
Siedlungshorizont erkennen."
Im Rahmen der auf nur 10 Tage begrenzten
Grabungskampagne der Amstettner Gymnasiasten konnte freilich nur ein kleines
Fenster in die römische Vergangenheit von Kleingreinsfurth geöffnet werden.
Eine Auswahl interessanter Fundobjekte ist in einer Schauvitrine im 1. Stock
des Bundesgymnasiums Amstetten zu besichtigten.
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