Nr. 163 - 1. November 1985 - 14. Jahrgang
Unsere "Landsäure", der Most
(von Amtsrat Johann Hintermayr, Museumsleiter Haag)
Seit der Jungsteinzeit hat man bei uns die Wildformen der Äpfel und
Birnen genutzt. Getränke daraus zu pressen gelang aber sicher erst, seitdem man
aus dem Mittelmeerraum - unserem kulturellen Lehrmeister - höher gezüchtete
Sorten übernommen hatte.
Wahrscheinlich ist die Erzeugung von Obstwein der Weinwirtschaft
nachgebildet worden.
Uralt ist in unserem Bereich die Obstweinerzeugung. Denn dafür gibt es
schon ein allgemein germanisches Wort: lîth. Auch im Deutschen hat man bis ins
späte Mittelalter den Obstwein lîd, später leit genannt. (Der häufige
Familienname Leitgeb rührt daher. Eigentlich ist er eine Berufsbezeichnung:
"Der lît / leit gibt = ausschenkt").Most dagegen ist ein lateinisches
Lehnwort, der Weinwirtschaft entnommen und bedeutet eigentlich "junger
Wein".
Die Kelten, die auch in unser Land gekommen sind, sollten das haltbare,
vergorene Getränk aus Birnen- und Apfelsaft erzeugt haben. Tatsächlich wird
heute in der Bretagne, einem keltischen Rückzugsgebiet, und in der benachbarten
Normandie Apfelwein erzeugt: der wunderbare, milde Cidre.
Aus der Lebensbeschreibung der hl. Radegund, +587, erfahren wir, dass an
den fränkischen Fürstenhöfen Obstwein getrunken wurde.
Nach Prof. Dr. Leopold Schmidt hat es in Niederösterreich nachweislich
seit dem frühen Mittelalter Birn- und Apfelbäume gegeben. Diese Baumarten
wurden durchwegs als Träger von Mostobst kultiviert.
In der mittelalterlichen Literatur kommt das oder der lît öfter vor und
wird im 13. Jahrhundert auch schon "bîremost" genannt. Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts wurde der Most, wie alles geistige
Getränk, mehr und mehr besteuert.
In der Barockzeit rühmt der Besitzer der Herrschaften Rohrbach und
Klingenbrunn, Wolf Helmhardt von Hohberg, in seinem Buch "Georgica
curiosa" nicht nur den gesunden, kräftigen Trank, sondern auch die Pracht
der blühenden Bäume. Der große Durchbruch für den Most ist im 18. Jahrhundert
eingetreten. Der Most wurde nun zu einer echten Konkurrenz des Weines. Man hat
deshalb Polizeiverordnungen zur Einschränkung des Mostausschankes erlassen.
Jedoch mit dem Mostausschank in den Gasthöfen wurde der Bedarf dieses Getränkes
immer größer, sogar in Weingegenden galt der Most als beliebtes Getränk. Der
Obstbaumbestand vergrößerte sich daher in der Folge immer mehr, und die
Qualität des Obstes wurde gehoben.
Der Spruch: "A Mosthaus is a guats Haus" hatte viele
Generationen lang einen guten Klang. Von der Hochblüte dieses bodentypischen
Wirtschaftszweiges gingen viele Impulse aus; in guten Erntejahren wurde in Haus
und Hof investiert. Von den Berufsgruppen, die an der florierenden
Mostwirtschaft beteiligt waren, sind es die Zimmerleute, die sich mit den von
ihnen gestalteten hölzernen Mostpressen geradezu Denkmäler setzten. Mit reichen
Zierelementen und Sprüchen versehen, gehören die Pressen, wie sie auch im
Mostviertelmuseum in Haag vorhanden sind, "zu den höchsten Ausformungen
niederösterreichischer Volkskunst und sind wahrhafte Sinnbilder des
Mostviertels" (Dr. W. Galler).
"Der Apfel- und Birnensaft gibt dem Meister und Gesellen Kraft -
sehr köstlich ist der Birnen- und Apfelsaft, den diese Presse rein und edel
macht", so heißt es auf zwei musealen Pressen, und wie hier der Most als
Kraft- und Freudenspender gepriesen wird, so findet man ähnliche Aussagen auch
in alten Medizinalbüchern.
Schon der griechische Arzt Dioskurides war ähnlicher Ansicht (ein also
nahezu 2000-jähriges Rezept!) und ein Naturheilkundler unserer Tage - Richard
Willfort - bezeichnet besonders den mehrjährigen Apfelmost als hervorragendes
Heilgetränk.
Jedenfalls übt der Most eine wichtige Funktion zur Aufbereitung der
Speisen bei der Verdauung aus, besonders bei schwerer Kost. Erfahrene
Gemeindeärzte, wie z.B. Dr. Anton Oberleitner, behaupten, dass Leute, die guten
Most zu Hause haben, weniger anfällig gegen Magen- und Darmleiden sind und dass
dieses natürliche Getränk geradezu wohltuend sei für Blase und Nieren.
Man genießt den Most in ausgiebigen Zügen, dazwischen Pausen (etwa mit
Speckjause) einlegend. Bei großem Durst ist der "G'spritzte" sehr
bekömmlich. Freunde dieses Naturgetränkes kennen die speziellen Eigenschaften
und ziehen Vergleiche: Bier macht müde, Wein geht schnell in den Kopf, Schnaps
verwirrt, aber der Most stärkt das Gemüt.
Natürlich gibt es auch Neider unseres Mostes. Sie bezeichnen die
Bewohner des Mostviertels dann oft als "die Mostschädeln". Wir
Mostviertler wissen diese Bezeichnung aber als ehrendes Synonym einzustufen.
Nach dem Weingesetz aus 1961 und dem NÖ Buschenschankgesetz (146/74 und
29/80) galt bislang der vergorene Saft aus Äpfeln, Birnen oder Beeren als
"Obstwein". Weil diese Bezeichnung oft zu Missverständnissen führte -
der Sammelbegriff Obstwein enthielt auch alle alkoholhaltigen Produkte aus
Beerenobst - hat sich unser Bezirkshauptmann, Herr Hofrat Dr. Johann Kandera,
zusammen mit Herrn Landeshauptmann Siegfried Ludwig erfolgreich um eine
Gesetzesänderung bemüht: Unsere "Landessäure" erhielt mit der Weingesetznovelle
vom 28.6.1985 ihren alten, angestammten Namen "MOST" zugesprochen.
Wir Mostviertler verstehen unter dieser Bezeichnung folgende Sorten:
Den Süßmost - frisch von der Presse, den Mischlingsmost - der vergorene
Saft aus Äpfeln und Birnen, der vom Spätherbst über den Winter bis zur neuen
Ernte getrunken wird, und den Apfelmost - aus reinem vergorenen Apfelsaft und
mehrjährig gelagert.
Erfahrene Mostkenner wissen, dass neben dem Säure- und Alkoholgehalt
Farbe, Geruch und Geschmack zur Errichtung des Prädikates
"Qualitätsmost" in Ordnung sein müssen.
Jeder, der solchermaßen geprüften Most besitzt oder erwirbt, kann die
Gewissheit haben, ein gesundes, haltbares und köstliches Getränk sein eigen zu
nennen.
Literatur:
Johann Hintermayr, Das Mostviertel und sein Museum in Haag, Haag 1978
Johann Hintermayr, Die Apfel- und Birnenmostkultur im
niederösterreichischen Mostviertel. In: Sammeln und Sichten, veröffentlicht im
Verband der Wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs, Wien 1979
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