Nr. 116 - 1. Dezember 1981 - 10. Jahrgang
DAS RÖMISCHE LIMESKASTELL ADJUVENSE auf
dem Boden des Marktes Wallsee
(von OSR Elmar Tscholl)
Nach langjährigen Beobachtungen und
eingehenden Untersuchungen seit dem Jahre 1966 konnte an den verschiedensten
Stellen im Ortsgebiet von Wallsee der Nachweis von mächtigen antiken Mauern
erbracht werden. In annähernder Deckung mit dem Bereich des Marktes Wallsee im
Osten und Westen begrenzt von den beiden "Hintergassen" - Schulgasse
und alte Postgasse - lag ein mächtiges römisches KASTELL. Mit seinen
Abmessungen von 160 mal 200 m hat es einer Truppe von 1000 Soldaten Platz
geboten.
Die Festungsmauern dieses Kastells waren
imponierend. In den Boden in antiker Zeit wurden mächtige Grundfesten von 2,20
m Dicke und 1 m Tiefe ausgehoben und mit sehr fest vermauerten Bruchsteinmauern
ausgefüllt.
Darauf wurde aufgehendes
Bruchsteinmauerwerk aufgesetzt, 6 - 8 m hoch und auf der Mauerkrone noch 1,5 m
breit. Die Kanten der Zinnen, der Ecken und Türme wurden durch behauene
Konglomeratsteine gebildet. Die Vermauerung erfolgte mit Heißkalk, der
offensichtlich aus eingesammeltem Donauschotter gebrannt worden war. Darauf
weisen zahlreich gefundene, mit Glas überzogene quarzhältige Geröllsteine hin.
In der Mitte des Kastells, zum Teil unter
dem Rathaus und zum Teil östlich davon liegend, konnten die PRINCIPIA, die
Kommandogebäude, beobachtet werden. Viel von dem Mauerwerk wurde in
nachrömischer Zeit als Baumaterial verwendet. In den alten Häusern von Wallsee
kommen bei Abbruch oder Umbauten immer wieder solche Zeugnisse zutage.
Im Laufe von etwa 1800 Jahren hat sich
über den erhaltenen Resten im Bereich des Marktes Wallsee eine Schicht von 120
cm ABRAUM angesammelt, sodass der Eindruck entsteht, als seien die römischen
Anlagen "versunken". Außerhalb des Ortes liegen die römischen Schichten
nur 60 - 80 cm unter dem gegenwärtigen Geländeniveau.
Wie bei allen anderen Limeskastellen gibt
es auch in Wallsee verschiedene Bauperioden. Reste eines ersten ERDKASTELLS
wurden hinter der neuen Raiffeisenkasse festgestellt. Einer zweiten Bauperiode
dürften Befestigungsanlagen, die im Süden und Osten des Marktes in der
Schulgasse zutage kamen, zuzurechnen sein. Die vorher beschriebenen, mächtigen,
gemauerten Befestigungsanlagen dürften dem 3. Jahrhundert n. Chr. angehören.
In der Spätantike, als der Truppenbelag in
den Limeskastellen drastisch vermindert wurde, erbauten die Truppen im
Lagerbereich ein KLEINKASTELL, und der übrige Raum des Kastells wurde für die
Zivilbevölkerung als Siedlungsplatz freigegeben. Dieses RESTKASTELL hat sich
nach den Beobachtungen in einem Ausmaß von 25 x 26 m im Bereich der alten
Volksschule (jetzt Kindergarten) befunden. Um freies Schussfeld zu haben, wurde
in einem Umkreis von 40 - 60 m jedes Bauwerk entfernt. Außerdem befand sich
innerhalb dieses Restkastells ein ausgezeichneter Brunnen (Brunnen der alten
Schule).
Aus den Keramikfunden und den im Schloss
aufbewahrten Münzfunden kann ein BELAG DES KASTELLS vom letzten Jahrzehnt des
1. Jahrhunderts bis in die Spätantike abgeleitet werden.
Eine Arbeit des verstorbenen Erzherzogs
Theodor Salvator Habsburg-Lothringen sucht nachzuweisen, dass dieses
Limeskastell das in der antiken Literatur angeführte ADJUVENSE war, was
vielleicht so viel wie: "das auf dem Berg gelegene" bedeutet.
Im Kastell Adjuvense stand zuletzt eine
LIBURNARIER-EINHEIT, eine Legionstruppe, Untereinheit der II. ITALISCHEN
LEGION, die mit kleinen Booten, sogenannten LIBURNEN, ausgerüstet war. Davor
hat es eine HILFSTRUPPENCOHORTE beherbergt (Cohors I Aelia Brittonum millaria).
Südlich des Kastells, also südlich des
Marktplatzes bis etwa zur Straße nach Ardagger, erstreckte sich das LAGERDORF,
die Zivilsiedlung. Darin wohnten die zivilen Handwerker und die Familien der
Soldaten. Einzelne von ihnen erbauten sich sogar gemauerte Häuser, die Verputz,
Ziegelrhombenpflaster und Bodenheizung hatten. Dass die romarisierte
Bevölkerung des Lagerdorfes einen bescheidenen Wohlstand entwickelte, geht aus
den zahlreich gefundenen, schön verzierten Tongefäßfragmenten
(SIGILLATAFRAGMENTEN) hervor.
Der Fund eines großen Ziegels mit
FISCHZEICHNUNG könnte anzeigen, dass im Kastellbereich Christen lebten. Die
PRUNKGRÄBER der gehohenen Bevölkerungsschicht (Offiziere Kaufleute, Handwerker
und deren Angehörige) befanden sich südlich des Marktes an der Ausfalls-Straße.
Teile dieser GRABDENKMÄLER mit bildlichen Darstellungen aus dem Leben der
Verstorbenen und der antiken Mytologie befinden sich im Schloss und im
Gemeindeamt. Am Westhang unterhalb des Marktes konnten auf Privatgrund (OSR
Tscholl) 23 Bestattungen einfacher Leute festgestellt werden.
Im Nordwesten des Marktes befand sich in
antiker Zeit eine ausgedehnte Ziegelei mit Ziegellagerplatz, die sowohl von
einem Besitzer PETRONIUS als auch von römischen Soldaten betrieben wurde
(Grundstück oberhalb des Hauses Feischl).
Eine einmalige Entdeckung gelang im Jahre
1978. Bei Aushubarbeiten für das Arztwohnhaus (Dr. Moser) kam ein römischer
Keller mit entsprechendem KERAMIKFUNDMATERIAL (WIRTSCHAFTS-KERAMIK) zum
Vorschein, der den sichern Schluss zulässt, dass in antiker Zeit ein
wohlhabender Mann einen milchverarbeitenden Betrieb geführt hat. Wir würden
heute MOLKEREI dazu sagen. (Bisher einmalig am Limes.) Der Mann war so
wohlhabend, dass er sich neben einer Bodenheizung drei verschiedene Arten von
TERRAZZOBÖDEN, WANDMALEREI und eine
schön gearbeitete MARMORSTATUE (eine
Gottheit darstellend) leisten konnte.
Das KASTELL ADJUVENSE in Wallsee gehörte
dem mächtigen röm. Reich als wichtige GRENZFESTE am DONAULIMES an und hat seine
geschichtliche Funktion bis zu seiner endgültigen Aufgabe im 5. Jahrhundert
nach Christus erfüllt.
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