Nr. 325 - 1. November 1997 - 22. Jahrgang
Von der Kranzer-Mühle zur Shopping City
von Hans Bruckner
Im September 1991 wurde die SCA - die Shopping City Amstetten - eröffnet
und dies sollte Grund genug sein, das jahrhundertelange Geschehen auf dem Areal
an der Wörth- und Waidhofner Straße zwischen Mühlbach und Bahndamm - heute
inmitten des pulsierenden Lebens der Stadt Amstetten - einer kleinen
geschichtlichen Betrachtung zu unterziehen. Denn schon vor 300 Jahren begann
hier auf der "Inneren Wieden" - so wurde dieses Gebiet außerhalb des
Marktes Amstetten bezeichnet -eine überaus interessante und wechselvolle
Geschichte von Handel, Gewerbe und Gastronomie. Wohl kaum ein anderer Teil
Amstettens hat in der Vergangenheit. so einschneidende Veränderungen erfahren
wie dieser.
Zur Zeit des zweiten Türkensturms (1683) stand „auf der Wieden", die
Teil des Seisenegger Herrschaftsbesitzes "auf der Steyermark" war,
bereits eine Mühle und die Bewohner dürften von den Tartaren, die bis an die
Ybbs vordrangen, nicht verschont geblieben sein, denn aus dem Seisenegger
"Amt Amstetten" wurde der Herrschaft im Besonderen gemeldet, eine
Frau aus der „Steiermark" und ihr Kind seien vom Feind entführt worden.
Später führte diese Mühle nach dem Namen ihres Besitzers die Bezeichnung
"Kranzer-Mühle" und nachdem die Liegenschaft 1881 in den Besitz von
Anton und Katharina Breit übergegangen war, wurde sie den Amstettnern unter dem
Namen „Breitmühle" geläufig. 1906 wurde sie von Thomas und Anna Paar
erworben, aber schon zwei Jahre später an den Engländer Thomas Gramlick jun. verkauft,
der hier eine kleine Hutfabrik errichtete. 1911 ging diese an Vinzenz Nohel
über, der sie fünf Jahre später an Gustav und Ludwig Ita veräußerte. Erst ab
1919 gewinnt die Hutfabrik unter ihrem neuen Besitzer Heinrich Ita eine für
Amstetten beachtliche industrielle Bedeutung. Das geht schon daraus hervor, dass
die Firma bis zu Beginn der dreißiger Jahre an die 900 Arbeiter und
Arbeiterinnen in Tag- und Nachtschichten beschäftigte, wobei fast die gesamte
Produktion nach England exportiert wurde, bis durch zollpolitische Maßnahmen
Großbritanniens die Ausfuhr dorthin stark gedrosselt werden musste.
Wechselvoll war das Geschick des Unternehmens auch nach dem Zweiten
Weltkrieg, wobei gerade in der schwierigen Nachkriegszeit noch viele Amstettner
- vor allem Frauen - in der Hutfabrik Ita Beschäftigung fanden. Schließlich musste
der Betrieb aber doch eingestellt und das veraltete Fabrikgebäude und das Areal
an die deutsche Bekleidungsfirma Bücking und die Stadtgemeinde Amstetten
verkauft werden.
Im Haus Wörthstraße 18 traf sich ganz
Amstetten
Bevor die Firma Heinrich Ita Ende des Jahres 1918 neben der
"Breitmühle" auch das zwischen Mühlbach und Bahndamm gelegene Haus
Wörthstraße 18 samt den dazugehörigen Grundstücken erwarb, spielte sich in
diesem Gebäude zum guten Teil das "gesellschaftliche Leben
Amstettens" ab: Im Gasthaus „Zum Goldenen Lamm".
Zur Zeit des Bahnbaues im Jahre 1858 wird ein Josef Jäger als Besitzer
der Liegenschaft an der Allersdorfer Straße - so wurde die heutige Wörthstraße
damals bezeichnet - genannt: 1879 erwarben Franz und Josefa Preuer das
Gasthaus, die es nach einem Brand wieder aufbauten und darüber hinaus einen
Stock mit Saal aufsetzten. Kurz nachdem Heinrich und Anna Ripka 1884 das Gebäude
erworben hatten, bauten sie es neuerlich um. Aus dieser Zeit stammte auch die
Toreinfassung aus Granit, die älteren Amstettnern vielleicht noch in Erinnerung
ist, blieb sie doch noch einige weitere Jahrzehnte erhalten. Jedenfalls
erfreute sich das neue "Hotel Goldenes Lamm" des Heinrich Ripka
großer Beliebtheit und eines enormen Zuspruchs. Kein Wunder, fanden doch in dem
im 1. Stock gelegenen repräsentativen Saal die meisten größeren Ballveranstaltungen
Amstettens statt, aber auch Theatervorstellungen und Konzerte, sowie die
"Liedertafeln" des Männergesangsvereines, der im Erdgeschoß des
Hauses sein Probenlokal hatte. Über eine hölzerne Mühlbachbrücke zwischen Hotel
und Bahndamm gelangte man in einen ausgedehnten, prächtigen Gastgarten, in dem
viele alte Kastanienbäume Schatten spendeten und der bei den damals ziemlich
häufigen Festlichkeiten von Vereinen und Verbänden überaus stark frequentiert
war. Zum "Goldenen Lamm" gehörte auch das gegenüberliegende Gebäude,
das als Gaststallung benutzt wurde und später dem bekannten Amstettner Kaufmann
Hans Steer als "Krautlager" diente.
Das "Hotel Goldenes Lamm" war auch nach dem Besitzwechsel als
Weinlokal-Brunner sehr beliebt, zumal vor der Erbauung des Kinogebäudes in der
Mühlenstraße (heute Bipa-Markt) und nachdem der aus Holz gebaute „Lifka-Kino-Palast"
in der Preinsbacher Straße (neben dem Evangelischen Pfarrhaus) abgebrannt war,
das Amstettner Kino in den Brunner-Saal übersiedelte. Im Gasthaus Brunner
befand sich auch einige Jahre lang das Notenarchiv und Instrumentenmagazin der
ehemaligen Stadtmusikkapelle Amstetten. Ferner hatte Fleischhauer Karl Kraus im
Haus Wörthstraße 18 seine "Fleischbank" und nach dem Ersten Weltkrieg
der Invalide Franz Lehner, dem auch das Gasthaus "Zur Linde" in der
Jahnstraße gehörte, eine Tabak-Trafik. Zuletzt befand sich die Wäscherei Ita in
dem Gebäude.
Bereits 1904 hatte die Wieselburger Brauerei das "Hotel Goldenes
Lamm" erworben. 1909 ging die Liegenschaft in das Eigentum des Brauhauses
Amstetten über, bis Heinrich Ita dem "geselligen Leben" im Haus
Wörthstraße 18 ein Ende setzte und den Saal schließlich zu Wohnungen umgestalten
ließ.
Die "Innere Wieden" bekam in
zwei Jahrzehnten zwei neue Gesichter
Die Raschlebigkeit in den letzten Jahrzehnten wird besonders in diesem
Areal der früheren "Inneren Wieden" augenscheinlich: Innerhalb von 18
Jahren wurde dessen Aussehen zweimal nahezu total verändert.
Zu Beginn des Jahres 1972 fuhren an der Einmündung der Waidhofner- in
die Wörthstraße Greifbagger und Schubraupen auf, um die Fabrikanlagen der
ehemaligen Hutfabrik Ita und die dazugehörigen Gebäude zu schleifen. Die
Amstettner Firma Offenthaler führte diese umfangreichen Abbrucharbeiten ohne
wesentliche Behinderungen des Straßenverkehrs innerhalb kürzester Zeit durch.
Schwaden von Ziegel- und Kalkstaub konnten zahlreiche Zuschauer nicht davon
abhalten, Zeugen zu sein, als mit der Demolierung der Gebäude Wörthstraße
18/18A ein Stück "Alt-Amstetten" für immer verschwand, mit ihm auch
der 34 Meter hohe Fabriksschlot - jahrzehntelang ein weithin sichtbares
"Wahrzeichen" dieses Gebietes - der von der Stadtfeuerwehr mittels
Drahtseilzug "umgelegt" wurde, da die Bundesbahn als Anrainer einer
Sprengung nicht zustimmte.
Auf dem nun freigewordenen Platz errichtete die Bekleidungsfirma
Bücking-Dreinaht, die ihren Stammsitz und Hauptbetrieb im hessischen Alsfeld
hat - der Partnerstadt Amstettens in der BRD - ihre Verwaltungsgebäude und
Werkshallen. Für viele Menschen aus Amstetten und seiner Umgebung gab es neue
Arbeitsplätze, wieder waren es vor allem Frauen, die hier - wie seinerzeit in
der Hutfabrik - Beschäftigung fanden. Das Geschäft florierte vorerst, doch die
Marktschwierigkeiten auf dem Bekleidungssektor, hervorgerufen durch
Billigimporte, machten auch vor dem reell geführten Unternehmen nicht Halt.
1989 musste der Amstettner Zweigbetrieb nach einigen Rettungsversuchen
endgültig schließen.
Wieder traten Greifbagger und Schubraupen in Aktion, wieder entstand
Neues! Das neue Gesicht der alten „Inneren Wieden" scheint mir erfreulich
und anziehend. Wieder werden es vor allem Frauen sein. die das Areal bevölkern,
nicht um hier wie anno dazumal ein paar Kronen oder Schillinge zu verdienen,
sondern um die vielfältigen Möglichkeiten und Angebote unserer
Konsumgesellschaft zu "genießen". Möglichkeiten, welche die Besucher
des ehemaligen Gastgartens beim „Goldenen Lamm", zwischen Mühlbach und
Bahndamm, kaum zu träumen gewagt hätten, sich aber heute an gleicher Stelle in
der neuen "Shopping City" doch meist verwirklichen lassen. Und das
ist gut so!
Quellen:
Dr. Leopoldine Pelzl "Heimatgeschichte Amstettens"
Josef Freihammer "Heimat Amstetten"
Alois Schabes "Geschichte der Stadt Amstetten"
Josef Freihammer/Gustav Pöschl: "Das Alte stürzt" aus "Amstettner Anzeiger" Nr. 9/1972
Dr. Leopoldine Pelzl "Heimatgeschichte Amstettens"
Josef Freihammer "Heimat Amstetten"
Alois Schabes "Geschichte der Stadt Amstetten"
Josef Freihammer/Gustav Pöschl: "Das Alte stürzt" aus "Amstettner Anzeiger" Nr. 9/1972
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