Nr. 136 - 1. August 1983 - 12. Jahrgang
Die Öhlermüllerin - Volkserzählung und
geschichtliche Realität
von OSR Franz Steinkellner
Die Sage und die Gedenkmarterl
Eine der bekanntesten geschichtlichen
Erzählungen des westlichen Mostviertels ist jene von den drei Frauen, die
angeblich anno 1529 von den Türken geraubt wurden. Nach mehrjähriger
Gefangenschaft in Konstantinopel konnten sie fliehen und wieder in ihre Heimat
zurückkehren. Die Titelheldin der Geschichte ist die Öhlermüllerin. Der Name
kommt von der Öhlinger- oder Öhlermühle, Pfarre und Gemeinde Öhling. Beim
Herannahen der berittenen türkischen Streifscharen lief sie in ihrer Angst und
Verzweiflung zur nahen Kapelle, wo sie von den aus der Richtung Neuhofen
kommenden Türken ergriffen wurde. Zwei weitere Frauen, die "Reintaler
Tini" (Reintal, Pfarre und Gemeinde Zeillern) und die "Empfinger
Lisi" (Empfing, Pfarre Stephanshart) wurden damals ebenfalls von den Türken
verschleppt und geraubt. In Konstantinopel wurden sie auf dem Sklavenmarkt an
einen vornehmen Herrn verkauft. Nach langen Jahren der Gefangenschaft ergab
sich bei einem Erdbeben die Möglichkeit zur Flucht, die von den drei Frauen
zusammen mit einer schwarzen Dienerin namens Zoe ergriffen wurde. Die Rückkehr
in die Heimat dauerte 1 Jahr. Zoe starb dabei an den Strapazen. Der Öhlermüller
soll sich in der Zwischenzeit wieder verheiratet haben. Die zweite Frau wollte
der Heimkehrerin sofort den Platz räumen, doch diese habe im Hinblick auf ihren
geschwächten Gesundheitszustand und auf ihr nahes Ende auf ein weiteres
Zusammenleben mit ihrem Mann verzichtet, sei zu ihrer Freundin gezogen und bald
darauf gestorben. Angeblich soll sie in Zeillern begraben worden sein.
In dieser und in ähnlicher Form wird die
Geschichte bis heute erzählt. Dass es dabei im Volksmund verschiedene Varianten
gibt, ist nicht verwunderlich. Die Erzählung ist als Kalendergeschichte zweimal
im Druck erschienen und wurde auch zweimal zum Stoff eines gleichnamigen
Bühnenstückes erwählt, einmal von dem ehemaligen Pfarrer Geistl. Rat Brückler
von Winklarn und ein zweites Mal von Josef Schadenhofer aus Zeillern. Beide
Stücke wurden wiederholt in der Umgebung aufgeführt und haben das Interesse an
der Erzählung immer wieder geweckt.
Auch zwei Gedächtnisstätten erinnern an
die Begebenheit: das Türkenmarterl bei Ludwigsdorf und die Öhlermüllerkapelle
in Öhling.
Das Marterl bei Ludwigsdorf besteht aus
einem Holzpfahl mit einem Holzrahmen. Darin ist eine bemalte Blechtafel, die
letztmalig nach 1945 durch die Amstettner Malerin Anna Tschadesch renoviert
wurde, weil die alte Tafel mehrere Einschüsse einer russischen MP aufwies.
Die Tafel zeigt die Sonntagberger Dreifaltigkeit, darunter drei Frauen an einem
Waldrand und schließlich folgenden Text: "Im Jahre 1529 wurden 3 Frauen,
darunter die oftmals genannte Öhlermüllerin, von den Türken verschleppt und in
Konstantinopel 6 Jahre zurückgehalten. Es gelang ihnen, zu fliehen, und nach
einjähriger Wanderung erreichten sie die Heimat. An dieser Stätte erblickten
sie wieder, tief erschüttert, die Stätten ihrer Kindheit und Jugend. Hier
schieden sie voneinander. Zwei von ihnen erlagen bald den Folgen der schweren
seelischen und körperlichen Leiden". (Siehe dazu die Abbildung in
"Österreichs Wiege" I).
Die Öhlermüllerkapelle steht hinter dem
Öhlinger Musikheim an der Abzweigung der Straße nach Aschbach. Sie weist an der
Vorderseite oben ein kleines Bild von der Gefangennahme der Müllerin auf.
Darunter steht in schwarzen Ziffern die Jahreszahl 1529. Letztmalig dürfte
dieses Bild von dem Lehrer Wickenhauser aus Mauer nach dem 2. Weltkrieg
renoviert worden sein. Soweit die Vorgeschichte.
Die richtige Jahreszahl der türkischen
Gefangennahme
Vor längerer Zeit machte mich Direktor OSR
Karl Stiefelbauer aus Ulmerfeld darauf aufmerksam, dass die Jahreszahl 1529
nicht stimme, sondern dass sich die Geschichte erst 1683 zugetragen habe. Der
Name der Öhlermüllerin sei Susanna Pilsinger gewesen. Ich möge in der Zeillerner
Matrik diesbezüglich Einblick nehmen.
Am 20. April 1971 teilte mir der
Stiftsarchivar von Seitenstetten, Dr. P. Benedikt Wagner, die gleiche Ansicht
mit und führte in seinem Schreiben aus, dass das Stiftsarchiv zu dem Ereignis
ein zeitgenössisches Beweismittel, das Sonntagberger Gnadenbüchl vom Jahre
1716, habe. Das Büchlein führt den Titel: "Fortsetz= und Beschreibung
Etlicher Wunderbarlichen Gnaden und Würckungen, So Die allerheiligiste
Dreyfaltigkeit Auf den Sontagberg . . . . Denen Nothleydenden in
unterschiedlichen Begebenheiten gnädig erwisen hat. Von 1690 biß 1715. Steyr,
Gedruckt bey Joseph Grünenwald". Hier heißt es auf S. 14-15: "Anno
1690. Auß 5 Jähriger Gefangenschafft kombt wunderbarlich in die Freyheit ein
Müllnerin. Susanna Pilsingerin ein Müllnerin, wird in der Tartarischen
Invasion, so geschehen als man zehlete 1683. In die strenge Dienstbarkeit
hinweggeführt, welche auf die 5. Jahr hat getauret ... Seufftzete demnach zu
dem gnadenquellenden Brunn der allerheiligisten Dreyfaltigkeit auf den
Sontagberg, macht dahin ein Gelübd, und sehet! auß disen Brunnen fliesset ihr
reichlich das verlangte Gnaden Wasser, und komt hierdurch auß der langwürigen
Gefangenschaft auf freyen Fuß, und Gang. Zum Danck hat sie sambt ihren Mann
Martin Pilsinger, in der Oelling-Müll auß Aßpöcker Pfarr ein Opffer-Gemähl
anhero machen lassen."
Daraus geht nun eindeutig hervor, dass die
Jahreszahl 1529 nicht stimmen kann, sondern dass die Öhlermüllerin erst 1683 in
Gefangenschaft geriet.
Ich selbst hatte bis dahin keine
Veranlassung, an der Jahreszahl 1529 (1. Belagerung Wiens) in Bezug auf die
Geschichte der Öhlermüllerin zu zweifeln. Zwar erinnere ich mich, dass in einer
Kalendergeschichte von Adalbert Queiser aus dem Jahre 1889 zwei Begriffe in
Zusammenhang gebracht wurden, die zeitlich nicht zusammengehörten, nämlich die
Jahreszahl 1529 und die Nennung Kara Mustapha Paschas als türkischen Anführer.
Der Satz lautete: "Als die Türken unter der Führung ihres tapferes
Großveziers Kara Mustapha im Jahre 1529 gegen die Hauptstadt Wien zogen,
....". Da beide Denkmäler, Marterl und Kapelle, die Jahreszahl 1529
aufwiesen, nahm ich den Kara Mustapha als falsch an, denn 1529 befehligte
Sultan Soliman II. das Osmanenheer. Aus dem Sonntagberger Gnadenbüchl ist aber
die Jahreszahl 1683 zu ersehen. Ich war aber immer noch ein bisschen skeptisch.
Wenn 1683, so sagte ich mir, dann müssen doch die "handelnden
Personen" der Erzählung in den Matriken der betroffenen Pfarren
aufscheinen.
So machte ich mich daran, in mehrere
Pfarrhöfe der Umgebung auf Spurensuche nach der Öhlermüllerin und ihren
Gefährtinnen Unruhe zu bringen.
Der Öhlermüller, seine 1. Frau Veronika
und seine 2., von den Türken geraubte Frau Susanna
. . . . nach der Pfarrmatrik von Aschbach
Mein erstes Opfer war P. Notker Wieser,
der Pfarrer von Aschbach, zu dessen Pfarre Öhling damals noch gehörte. Er
wappnete sich dankenswerterweise mit Geduld und ließ mich in den Schätzen
seiner Matrik wühlen.
Ein erster Erfolg stellte sich ein, als
ich den im Gnadenbüchlein genannten Öhlermüller, Martin Pilsinger, in der
Heiratsmatrik fand. Demnach heiratete am 6. Mai 1649 Martin Pilsinger, Sohn des
Hans Pilsinger zu Pilsing, Veronika, eine Tochter des Stefan Praunshofer aus
der Pfarre Euratsfeld.
Dann kam die zweite Entdeckung; diesmal in
der Sterbematrik, auch wieder den Müller selbst betreffend: Am 30. Juni 1705
"ist begraben worden Martin Pilsinger an der Ölling Müll seynes alters bey
79 Jahren".
Und dann fand ich die erste Spur Susannas:
"Den 25. (Oktober 1705) ist copuliert
worden in Aspach Martin Neydorffer seines Handwerchs ain Müllerjunge, den
Ehrnf. Mathias Neydorffer Müllermaister an der Gruebmüll, Maria dessen
Ehewürtin beider ehelicher Sohn. Mit Susanna, des Martin Pilsinger an der Ölling
Mühl seel. hinterlaßener Wittib. Testes Adam Poxhauer an der Haydtmühl, Andre
Plankch Bürgerlicher Päckh alhier. Hannß Haimberger zu Wimpassing, Stephann
Dorffmayr zu Öhling."
Pilsingers erste Frau, Veronika, war wohl
schon verstorben. Ich suchte weiter. Schließlich fand ich im Totenbuch Susannas
Ableben eingetragen. "Eodem die (20.12.1729) ist conducierth worden Frau
Susanna Neydorfferin an der Öllingmühl, in der Bruderschaft zu Krenstötten, alt
72 Jahre." Unter der angeführten Bruderschaft ist die Rosenkranzbruderschaft
zu Krenstetten gemeint, die so wie alle anderen Bruderschaften unter Kaiser
Josef II. aufgelöst wurde. (Siehe dazu "Österreichs Wiege" I, S.
182).
Ein halbes Jahr später, am 27. Juni 1730,
heiratete Neydorfer eine Anna Maria Halb.
Nun hatte ich zwar Susanna, die
Öhlermüllerin, zweimal in der Matrik aufgespürt; aber wer war sie? Wo kam sie
her? Unglücklicherweise fehlt in Aschbach die Trauungsmatrik um 1680. So suchte
ich denn die Taufmatrik durch. Vielleicht, so hoffte ich, waren Martin und
Susanna oder Veronika irgendwo als Taufpaten eingetragen, wenn schon keine
eigenen Kinder da waren. Vergeblich!
Dann suchte ich in der Zeillerner
Totenmatrik weiter. Doch meine Hoffnung, hier auf eine Eintragung zu stoßen,
war gering; hatte ich doch vor Jahren die Zeillerner Matrik Eintragung für
Eintragung für meine "Hof- und Familiengeschichte von Zeillern"
ausgewertet. Eine Susanna und eine Veronika Pilsingerin waren mir dabei nicht
untergekommen. Es war wirklich nichts zu finden. So ging ich wieder nach
Aschbach und suchte in der Sterbematrik weiter. Dabei stieß ich zwar nicht auf
Veronika, die ich suchte, wohl aber trat der Name der Öhlermühle öfters in
Erscheinung. So fand ich 1661 (17.2.) den Sterbefall einer Margarete Straußin
"geweste Öhlingmüllerin", und in der Heiratsmatrik fand ich für den
9.2.1647 deren Vermählung mit dem Müller Simon, bzw. Siegmund Strauß an der
Öhlermühle zu Öhling. Schließlich bezeugten die Sterbematriken ab 10.1.1677 bis
23.11.1681 einen Paul Distelberger auf der Öhlermühle.
Da wurde mir nun klar, warum ich bisher
vergeblich gesucht hatte: Weder Martin Pilsinger noch eine seiner Frauen,
Veronika und Susanna, konnten in der Aschbacher Matrik zwischen 1649 und 1681
aufscheinen, weil Pilsinger damals gar nicht im Besitz der Öhlermühle war,
sondern weil die Mühle frühestens nach dem Tode Paul Distelbergers am
23.11.1681 von Pilsinger erworben worden sein konnte. Und weiters wurde mir
klar, dass er sich von seiner Verheiratung anno 1649 an bis 1681 gar nicht in
Öhling oder einem anderen Teil der damaligen Pfarre Aschbach aufgehalten haben
konnte.
Wo sollte ich weitersuchen? Den einzigen
Hinweis lieferte die Trauungsmatrik vom 6. Mai 1649, wo Pilsingers erste Frau
Veronika als aus der Pfarre Euratsfeld stammend angegeben wurde. So beschloss
ich, dort weiter zu suchen.
Der Vollständigkeit halber will ich noch
erwähnen, dass ich in Aschbach noch auf das Sterbedatum von Martin Pilsingers
Vater, Hans Pilsinger zu Pilsing, stieß, der am 9.1.1674 "bey 100
Jahren" alt gestorben war.
. . . nach der Pfarrmatrik von Euratsfeld
Was ich kaum zu hoffen wagte, in
Euratsfeld hatte ich Glück. Pfarrer Hirner legte mir die älteste Matrik der
Pfarre vor und eine halbe Stunde später hatte ich die zwei lange gesuchten
Eintragungen. In der Sterbematrik stand: "Den 21. dieses (März 1681) ist
Veronika Pilsingerin zu Hasellau ihres Alters bei 50 Jahren begraben
worden;" und in der Trauungsmatrik fand ich "Den 4. dieses (November
1681) ist copuliert worden Marthin Pilssinger ein Wittiber zu Hasselau mit
Susanna des Hannß Resch (oder Posch?) zu Lizellach . . . Tochter..."
Damit war der matrikenmäßige Beweis für
die Angaben des Sonntagberger Gnadenbuches erbracht.
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