Nr. 293 - 1. April 1995 - 21. Jahrgang
DAS KRIEGSENDE IN AMSTETTEN - WIE ICH ES ERLEBTE
(von Kurt Schober)
Als Angehöriger
des Geburtsjahrganges 1934 war ich zu diesem Zeitpunkt (1945) in einem Alter,
wo man alles bewusst erlebt und registriert. Frühere Jahrgänge waren schon
irgendwie verpflichtet - spätere noch nicht so alt, um es bewusst zu erleben.
Wir wohnten im
Pöchhackerhof, wo eine Hausgemeinschaft war, wie man sie nur selten findet. Man
erfuhr alles, und es wurde auch dementsprechend beredet. Man redete sehr viel -
man hatte ja keine Zeitung - Radios gab es nur einige im Haus. Beim Reden
hatten wir Jungen zu schweigen, wir durften nicht mitreden - was uns auch gar
nicht eingefallen wäre - aber wir hatten Ohren! Als oberste Autorität fungierte
die Hausmeisterin - sie war die Kommunikation in Person - sie trug sie von
Wohnung zu Wohnung, und das ein paar Mal pro Tag. Männer gab es nur die, die
nicht mehr einrücken mussten oder die, die noch nicht mussten.
Seit langem gab
es Fliegeralarme bei uns - doch in Amstetten keine Angriffe. Eines Tages
dröhnte der ganze Himmel durch Flieger, eine Unmenge zog über uns hinweg. Wir
waren im Hof und staunten hinauf. Ein Soldat auf Heimaturlaub schrie uns zu -
er schrie sich heiser -was das denn für Leute seien, die bei Alarm im Freien
die Flieger bestaunen. Da kannten wir die Gefahr noch nicht!
Erst am 19.
November 1944 fielen die ersten Bomben in Amstetten. Etwa 100 m von mir
entfernt; ich wollte gerade das Fenster öffnen, da explodierten diese. Die
Bombe traf das Wassermeisterhaus Weingartner (heute Haus der Musik) in der
Gutenbergstraße. Von diesem Zeitpunkt an war ich bombengestört. Es konnte mich
bei Voralarm nichts mehr halten, ich lief zum Stollen!
Bombengestört – Fliegerangst
Wie tief diese
Angst sitzen kann - ein Beispiel: Etwa im Jahr 1953 machte ich eine Bergtour
mit einem Mädchen ins Gesäuse. Wir gingen von der Hesshütte über den
Josefinensteig - Guglgrat - zum Hochtor. Am Guglgrat in 2.200 m Höhe kam uns
ein Flugzeug der Amis mit sehr geringer Flughöhe entgegen - einmal war es neben
uns, dann flog es unter uns - offensichtlich suchte es etwas. Ich war
begeistert, auf festem Boden stehend, auf ein Flugzeug zu schauen. Doch meine
Partnerin kauerte auf dem Boden und zitterte vor Angst. Sie hatte die
Fliegerangst
noch nicht überwunden. Erst heute, nach mehreren Urlaubsflügen kann ich bei
meiner Frau keinerlei Anzeichen einer Fliegerangst bemerken.
Herr Weingartner
war Wassermeister der Stadt und Vater der Frau Eisel (Mutter der Frau
Maderthaner). Herr Eisel war Radiotechniker und während dieser Zeit Leiter der
Technischen Nothilfe - eine Organisation für technische Einsätze bei
Notfällen. Herr Eisel installierte auch die Luftschutzstollen mit Licht und
Rundfunk. Die Stollen in Amstetten haben einer Menge Menschen das Leben
gerettet. Es waren zwei Systeme: im Reitbauernberg und im Krautberg.
Es gab auch einige
Möglichkeiten zum Durchgehen, z.B. vom Kirchenstollen zum Bismarckstollen (von
der Pfarrkirche in die Linzerstraße). Wir gingen bzw. rannten meistens in den
Bismarckstollen. Dieser war durch die Weinkeller vom Brandstötter zu begehen. Unvergesslich
bleibt die Erinnerung an die Bombenangriffe im Stollen. Man hörte die
Detonationen - man spürte das Zittern der Leute - man nahm sich an der Hand -
leises Weinen - dann verlosch auch das Licht - beten - Kindergeschrei und das
Beben dumpf und unendlich lang.
Man weiß von den
Stollen - weiß man auch, wo das Aushubmaterial hinkam? Vom Hofbauerstollen auf
den Salesianernspielplatz und dorthin, wo sich heute der Kindergarten befindet.
Vom Gerichts- und Gschirmbachstollen auf den Platz, wo heute die Bezirkshauptmannschaft
steht. Vom Kirchen- und Schulstollen über die Schulwiese in den Graben beim
Pensionistenhaus (Missionskreuz wurde weggeräumt). Vom Weststollen wurde der
Graben westlich vom Friedhof gefüllt. Vom Annenbrunnenstollen auf die Wiese, wo
heute die A.Hoferstraße und die Radetzkystraße sind.
Die Warnsignale
durch die Sirenen bedeuteten Voralarm - Alarm - Entwarnung. Eine besondere Art
der Warnung erfolgte am 4.5.1945 nachmittags - ein sehr langes Auf und Ab - man
sagte "Panzeralarm", denn da gab es keine Entwarnung mehr. Das war
die letzte Warnung, die von verantwortlicher Stelle gegeben wurde.
In meiner
Sammlung gibt es die Aufzeichnung einer Schreibkraft der Firma Hopferwieser,
worin sämtliche Alarme aufgezeichnet sind, die in Amstetten gegeben wurden - es
waren 265.
Es fielen auch
noch Bomben außerhalb der gegebenen Alarme, die von Osten kamen und denen keine
Warnung vorausging. Die Bomben, die den Klosterportaltrakt mit dem schönen
Fries beim Dachbereich und den Eingang der Pfarrkirche zerstörten, kamen ohne
vorherigen Alarm aus dem Osten. Eine weitere Bombe schlug abends ohne
Vorwarnung auf dem unteren Hauptplatz ein, richtete jedoch keinen Schaden an.
Obwohl die Fenster im weiteren Umkreis geborsten waren, war nur eine Mulde
sichtbar.
Einmal, am 20.
März 1945, nach einem Bombenangriff (dabei wurde die Herz-Jesu-Kirche
getroffen) habe ich Amerikaner gesehen, da ein Flugzeug landen musste. Da wurde
die Mannschaft am Hauptplatz dem Volk vorgeführt. Anfangs war es nur ein
belangloses Ohrfeigen, Anspucken usw. Als jedoch dann aus der Ostrichtung Wagen
mit Leichen (meist Fremdarbeiter, die nicht in die Stollen durften)
vorbeifuhren, wurden die Gefangenen zusammengeschlagen. (Nach dem Zusammenbruch
wurden alle beteiligten Schläger nach Ebelsberg gebracht, wo die wenigsten
zurückkamen.) Diese Fremdarbeiter waren beim Aufräumen des Vorbahnhofes
eingesetzt. Sie flohen bei Fliegeralarmen in den Wald bei Preinsbach.
Der Vorbahnhof
war für die heutigen Begriffe fast unvorstellbar. Er begann bei der Brücke über
die Bahn (heute befindet sich dort der MÜGU) und verlief nach Preinsbach
(westliches Ende), das sich bis nach Hart zog. Dort wurde ein Ölzug angegriffen
und in Brand geschossen.
Kriegsende:
Anfang Mai 1945
erlebten wir Kinder vom Pöchhackerhof, wie eine Abteilung SS auf den neuen
Kriegsherren vereidigt wurde, nachdem Hitler gestorben war. Sie waren über
Nacht im Haus einquartiert und zogen nach der Zeremonie Richtung Westen.
Das Gasthaus
Brandstötter verschenkte Wein aus dem eigenen Weinkeller. Man holte sich in
Milchkannen, was man bekommen konnte, denn Milch gab es ja keine mehr. Der Wein
wurde verschenkt, weil man meinte, die Russen würden ihn ohnehin kriegen. Man
hörte auch verschiedentlich, dass sich Leute selbst das Leben nahmen oder
flohen. Es war einige Tage sehr ruhig. Die Straßen waren durch Panzersperren verändert.
Man musste sich als Fußgänger durchzwängen. Auch der Hauptplatz war so gesichert!
Ob sich Panzer damit aufhalten ließen? Rund um die Stadt wurden auch an
besonders passenden Stellen Schützenlöcher gegraben. Einige Soldaten
wurden wegen Fahnenflucht noch hingerichtet. Sie lagen dann als abschreckendes
Beispiel frei neben der Straße.
Der 8.5.1945
brachte als erstes Ereignis die Kunde, dass die Oberschule (Elsa-Brandström-Schule)
geräumt sei. Diese war schon seit einiger Zeit ein Reservelazarett. Das
gesamte Militär war zu Fuß westwärts gezogen. Für uns ein Signal, das Haus zu
erkunden.
Wir Kinder der
Gegend hatten ja leicht, einiges in Erfahrung zu bringen, denn wir hatten seit
langer Zeit Kälteferien - Luftschutzferien und überhaupt keine Schule mehr; ab
10 Uhr meist schon Voralarm. Es schreit der Kuckuck - dann Alarm. Da wir, in
der Stadt wohnend, auch nachmittags Unterricht gehabt hätten, kamen wir bald
sehr selten dazu.
Während der
Erkundung in der Oberschule erfuhren wir, dass in der Stadt am Hauptplatz
Amerikaner seien, die an Kinder Schokolade verteilten. Da mussten wir hin. Da
es zu dieser Zeit sehr warm war, waren wir barfuß und sehr leicht gekleidet. Am
Hauptplatz waren eine Menge Leute, die die Amis bestaunten. In vier Fahrzeugen
standen sie westlich vom Kilianbrunnen. Schokolade bekamen wird keine. Staunend
gingen wir sehr nahe an sie heran.
Auf dem
Hauptplatz sah man neben den vier Fahrzeugen mit Amis auch Leute mit
Rot-Weiß-Rot-Armbinden und Abzeichen in Form einer Österreichfahne. Die Zeit
war eine andere geworden - wir waren nicht mehr Deutsche, wir waren Österreicher!
Es hieß, es wäre Friede!
Da kamen aus dem
Osten Flieger. "Das ist die Parade der Sieger!" hieß es. Die Flieger
- Russen - schwenkten ein, schossen und warfen Bomben auf die Zivilisten,
Amerikaner und deutsche Soldaten. Auch den Kilianbrunnen gab es nicht mehr! Da
ich in der Nähe der Polizeiwache stand, lief ich in Panik in den Durchgang
Richtung Graben. Der Keller war schon voll, Rathaushof, Hochhaus und der
Luftschutzkeller waren voll Trümmer. Da lag die zerschlagene Zinnerfigur vor
dem Hochhaus, wo die Bombe beim Eingang eingeschlagen hatte. Ich lief weiter in
die Wörthstraße zum Kirchenstollen, wo man mich dann
endlich
hineinließ. Nachdem die Gefahr vorüber war, zog es mich nach Hause. Die
Kirchenstraße war vollgestopft mit Flüchtlingswagen ohne Menschen. Beim Fortuna
brannte es, ein Auto war in Brand geschossen worden. Überall lagen
Glasscherben, auch noch die ganze Ardaggerstraße entlang, und ich war barfuß.
Zu Hause wurde ich schon
ängstlich
erwartet.
Es wird
verschiedentlich behauptet, die deutschen Soldaten hätten zuerst auf die
Russenflieger geschossen. Dazu kann ich nur sagen, dass ich nichts gemerkt
habe! Weiters wird von Bürgermeister Golser in der Festschrift 50 Jahre Stadt
Amstetten behauptet, dass sich die Russen und Amis in Amstetten die Hand
gereicht hätten - dazu ist es nicht gekommen! Das berichtet auch Portisch in
seiner Dokumentation.
Am späten
Nachmittag wurde ich von meinem Freund aufgerufen, mit ihm die Russen am
Krautberg und auf der Oiden zu beschauen. Da waren die Autos, die wir mittags
gesehen hatten, am Straßenrand oder im Graben ausgebrannt und leer. Die Russen,
die auf und in den Panzern zu sehen waren, sahen auch aus wie Menschen. Die
Geschichte hatte ein Blatt gewendet. Eine Welle ist über uns gegangen. In der
Nacht wurde es dann aber sehr laut und lebhaft - man feierte den Sieg. Die
Oberschule war zur Garnison der Russen geworden, so wie morgens die Deutschen
ausgezogen waren, zogen abends die Russen ein. Von hier aus durchstreiften sie
die Umgebung und drangen in die Häuser ein. Das Haus war abgesperrt! Man war
beisammen und es wurde wieder geredet - sie würden lange bleiben, bestimmt ein
Jahr - oder 5 Jahre!? Das gibt es doch nicht! Nicht!? Oder bleiben sie
vielleicht gar 10 Jahre? Du spinnst, das ist unmöglich!
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