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Kleine Kulturgeschichte des Mostes - "... die Keller sind voll Most!"

Nr. 261 - 1. Oktober 1992 - 20. Jahrgang

Kleine Kulturgeschichte des Mostes "... die Keller sind voll Most!"
(Mag. Heimo Cerny)

Während im Mittelalter aufgrund mangelnder Kellertech­nologie sich die bäuerliche Mostproduktion in recht be­scheidenen Grenzen hielt, erlebte sie seit der frühen Neuzeit einen steten Aufschwung. Eine Tendenz, die sich im 17./18. Jahrhundert weiterhin verstärkte und im 19.Jahrhundert ihren absoluten Höhepunkt erreichte. Der ursprünglich nur als Haustrunk für den Bauern ge­fechste Most mauserte sich zum alltäglichen und be­liebtesten Volksgetränk.

Im Verlauf des 16. Jahrhunderts trat der Obstmost all­mählich in ernsthafte Konkurrenz zu Bier und Wein. Das erregte nicht nur den Unwillen der Wirte, sondern auch den Argwohn der Obrigkeit, die sich durch ein Über­handnehmen des privaten Ausschenkens von Obstwein um "Ungeld und Zapfenmaß-Gebühr" (Getränkesteuer) geprellt sah. Daher wurde 1570 durch landesfürstliche Verordnung das nicht gewerbsmäßige "Leutgeben" von Obstmost verboten: "Demnach solle hiemit alles Obst­mostschenken/ auff dem Land/ dessgleichen in Städten und Märckten gäntzlich ab- und eingetellet/ und allein den Unterthanen zugelassen seyn/ wo je einer in sei­nem Hauß ein Obst-Most trincken wolt/ dass er dasselbe thun möge/ doch dass er keinen umbs Geld ausgebe."

Der erste namentlich bekannte Mostexperte war der Rit­ter Philipp Jakob von Grünthal (1546-1596), Inhaber der Herrschaft Zeillern bei Amstetten. Er hinterließ seinen Söhnen ein handschriftliches "Haushaltungsbüchel für junge Eheleute", in welchem er auch auf die Mostberei­tung zu sprechen kommt: "Holtz-Öppfl und Piern ge­stossen, geprößt, und in Väßl gossen, jesen (= gären) lassen, ist ein guett Tranckh für die Bauern. Von den wilden Leibs-Piern auch von Holtz- und andern Piernen so spalt zeittig werden, also von wilden und spalten Öpffeln wirdt der böste Most, und je spatter der Most gepresst wirdt, je schöner und beständiger wirdt dersel­be. Der von frühen Obst taugt nit." Seinen lehrreichen Ausführungen fügt Grünthaler noch den alten Spruch hinzu: "Probs, darnach lobs!"

Als bedeutendster Pionier der Mostviertler Obstkultur gilt der protestantische Landedelmann Wolf Helmhard von Hohberg (1612-1688), der als angesehener Schrift­steller, Agronom und Pomologe auf Schloss Rohrbach bei Haag ansässig war. Hier, im Herzen des Mostvier­tels, schrieb er sein berühmtes landwirtschaftliches Le­xikon "Georgica Curiosa oder Adeliges Land- und Feldleben" (Nürnberg 1682), das als Bestseller mehrere Auf­lagen erlebte und ein unentbehrliches Hausbuch für je­den Grundherrn und Landwirt geworden ist. Darin ist der Mostwirtschaft ein eigenes Kapitel gewidmet, worin es unter anderem heißt: "Wo es viel Feld-Obst giebet/ wie im Viertel ob Wienerwald/ da befleißen sich die Bau­ern sehr auf das Feld-Obst/ Aepfel und Birnen/ und presset manscher über hundert Eimer/ davon er nicht allein mit den Seinigen eine Labung/ sondern auch/ wann ers verkaufet/ ein gut Stuck Geld zusammen bringen kann/ weil dergleichen Preß-Most an erst ver­meldten Orten/ da wenig oder doch schlechter Wein wächset/ eine gute Anwährung hat. Der Birnen-Most wird für edler und beständiger gehalten/ als der von den Aepfeln kommt; darzu mag man auch wol das rechte wilde Holtz-Obst gebrauchen/ und sind viel der Meynung/ er daure desto länger/ und glauben/ dass der vom Garten-Obst gepresste Most nicht so langwärig sey ..." Den Wohlstand der Mostviertler Bauern preist der Ba­rockdichter Hohberg mit den Versen: "Da gibt‘s Mast­schwein und Vieh, im Rauchen (= Selch) reichlich han­gen Speckseiten, auf der Bühn Obst, Trauben, Birnen prangen. Die Kasten sind voll Korn, die Keller sind voll Most."

Der Physiokratismus des 18. Jahrhunderts brachte dem Mostobstbau nicht nur wissenschaftliche, sondern auch praktische Förderung, wenn man bedenkt, dass ab 1763 die Anpflanzung wilder Obstbäume entlang aller Lan­des- und Bezirksstraßen gesetzlich verordnet wurde und damit auch die Quantität der Mostmengen eine ge­hörige Steigerung erfuhr. Freilich war die Qualität der Möste stets von unterschiedlichem Niveau, sie ist ab­hängig von Witterungseinflüssen, von der Auswahl und Mischung der Obstsorten und nicht zuletzt von einer mehr oder minder sorgfältigen Kellertechnologie. So darf es nicht verwundern, wenn 1729 in einer Schilde­rung der Möste des Machlands (Donaugebiet) geklagt wird, dass diese "also beschaffen seyndt, dass sye die Mäuler zusamben ziechn, als ob man den grimmigen Tod pfaiffen wollte." Derlei Erfahrungen mögen wohl da­zu beigetragen haben, den Most in humorvoller Weise auch als "Landessäure" zu bezeichnen!

Ihren absoluten Höhepunkt erlebte die Mostkultur Im 19. Jahrhundert, als in großen Bauernwirtschaften 600 bis 2000 Eimer Most gepresst wurden (1 Eimer = 56 Liter). Der volle Mostkeller war die beste Sparbüchse des Landwirts, und viele Vierkanter des Alpenvorlandes erhielten damals durch Aufstockung ihre stolzen Di­mensionen. Die Erinnerung an diese Mostviertler "Grün­derzeit" ist in der bisweilen noch zu hörenden Redens­art "Diese Häuser hat der Most gebaut" lebendig geblie­ben.

Welchen Stellenwert die Mostobstpflege zu dieser Zeit für die ganze Region hatte, erfahren wir in Anton Schwetters "Heimatskunde der k.k. Bezirkshauptmannschaft Amstetten" aus dem Jahr 1884. "Mit besonderer Vorliebe pflanzt der Bewohner unseres Bezirkes an Feldrainen, an Rändern und Wegen, wie in seinem Gar­ten, den Birn- und Apfelbaum, aber nicht den veredel­ten, sondern die Mostbirne, den Mostapfel, und erwar­tet alljährlich mit Spannung das Erträgnis, das er in Most verwandelt. Was für das Weinland die Rebe, das ist für ihn der Obstbaum. Der Ertrag davon ist freilich ein nicht unbedeutender, da der einzelne Wirtschaftsbesitzer öfters mehrere hundert Hektoliter Most gewinnt, der größtenteils in der eignen Wirtschaft Verwendung findet, da der Most das beliebteste und alltägliche Ge­tränk unserer Bezirksbewohner ist."


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