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Erinnerungen an die Zeit der Lebensmittelbewirtschaftung zu Kriegsende und während der Besatzung

Nr. 156-  1. April 1985 - 14. Jahrgang

Erinnerungen an die Zeit der Lebensmittelbewirtschaftung zu Kriegsende und während der Besatzung
 (Fachoberinspektor i.R. Wilhelm Greiner)

Ich bin im Herbst 1944 als junger Beamter in den Dienst der Bezirksverwaltungsbehörde getreten und wurde dem Ernährungsamt zugeteilt. Wäh­rend zu Kriegsende die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln noch halbwegs funktionierte, gab es bei allen anderen Wirtschaftsgü­tern bereits eine schwere Versorgungskrise, es waren viele Güter nicht mehr erhältlich. An jenem Apriltag 1945, als auch in Amstetten mehrere Soldaten standrechtlich erschossen und zur Abschreckung für weitere drei Tage zur Schau gestellt wurden, hat mich eine SS-Streife festge­nommen. Ich musste als 15 1/2-jähriger ohne Einberufungsbefehl binnen weniger Stunden in das Reichsarbeitsdienstlager nach St. Georgen im Attergau einrücken. Nach Kriegsende in meine Heimatstadt zurückgekehrt, stellte ich mich sofort wieder in den Dienst der Bezirksverwaltungsbehörde. Meine erste Tätigkeit bestand damals darin, mit einem jungen Kollegen Relikte der NS-Zeit zu entfernen. Durch meine Vorkenntnisse in der Lebensmittelbewirtschaftung wurde ich im Sommer 1945 wieder dem Ernährungsamt zugeteilt. Bald war ich für die Lebensmittelaufrufe an die Bevölkerung zuständig.

Für eine funktionierende Lebensmittelbewirtschaftung sind zwei Schwer­punkte maßgeblich:
1) Die Aufbringung der Lebensmittel 2) Deren Verteilung.

Die Aufbringung der Lebensmittel erfolgte in der Kriegszeit durch die Kreisbauernschaft und in der Besatzungszeit durch das Ernährungsamt "A", das ist Aufbringungsamt. Das Ernährungsamt "B" hatte die Lebensmittel zu verteilen.

Zur Aufbringung der Lebensmittel Im Aufbringungsamt war für jeden landwirtschaftlichen Betrieb eine sogenannte "Hofkartei" vorhanden. Darin war die Betriebsgröße in ha, die jeweilige Anbaufläche, der Viehbestand und die Anzahl der betriebszugehörigen Personen vermerkt. Auf Grund der Betriebsgröße erfolgte dann die Vorschreibung der abzu­liefernden Waren, wie Kartoffeln, Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Öl­saaten, Zuckerrüben und anderes sowie Vieh, Fleisch, Schmalz, Milch, Eier etc. Der Handel musste für die abgelieferten Waren Ablieferungsbescheinigungen ausstellen. Eine davon war dem Aufbringungsamt zu übersenden, die abgelieferte Menge wurde daraufhin in die Hofkartei eingetragen. Das Aufbringungsamt hatte also jederzeit eine Übersicht, ob die jeweilige Lieferverpflichtung auch erfüllt wurde. Auch der Handel stand unter ständiger Kontrolle des Aufbringungs- und Ernäh­rungsamtes, und beide Ämter wussten jederzeit über die gelagerten Lebensmittelmengen Bescheid. Für die Verteilung der Lebensmittel durch das Ernährungsamt "B" waren Lebensmittelkarten erforderlich.

Während der Kriegszeit waren die Lebensmittelkarten in den jeweiligen Reichsgauen gültig. In den ersten Nachkriegsmonaten wurden sie jedoch von den jeweiligen Bezirksernährungsämtern selbst in Druck gegeben. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmit­teln war zu dieser Zeit äußerst kritisch, weil fast nichts zu verteilen war. Plünderungen zu Kriegsende und die Be­satzung trugen das Ihre dazu bei. Während ein erwachsener Mensch zur täglichen Nahrung durchschnittlich 10.000 Joule = 2.500 Kalorien braucht, gab es auf den Lebensmittelkarten 1945 nur Zuweisungen von 450 Kalorien. In den großen Städten, besonders in Wien, herrschte eine arge Hungersnot, es gab über­haupt nichts zu verteilen. Selbst am Schwarzmarkt war auch mit viel Geld und Gold nichts zu bekommen. Am Land war es doch et­was besser, jeder Bezirk war auf sich selbst gestellt, er ver­teilte wenigstens die hier spärlich vorhandenen Lebensmittel.

Die Bevölkerung stand Schlange vor den Lebensmittelgeschäften, Bäckereien und Fleischhauereien. Um allmählich wieder einen Überblick über die vorhandenen Lebensmittel zu gewinnen, mussten alle Händler am Monatsende dem Ernährungsamt eine Lebensmittelbestandsmeldung einsenden. Wegen akuten Brotmangels hatten auch alle Mühlenbetriebe den wöchentlichen Getreidezukauf und den Mehlver­kauf mit Bezugs- und Zuweisungsschein zu melden. Man kann sich heute kaum vorstellen, dass die Bäcker damals das zugewiesene Mehl oft nur sackweise von den Mühlen holen konnten. Diese argen Versorgungsschwierigkeiten dauerten etwa drei Jahre. Die Bevölkerung protestierte gegen die schlechte Versorgungslage. Ein Streik der Arbeiter der Böhler-Ybbstalwerke konnte im letzten Moment nur dadurch verhindert werden, dass das Ernährungsamt eine zusätzliche Fettration aufrief. Langsam aber besserte sich die Versorgung mit Lebensmitteln. Amerikanische Hilfsorganisationen wie CARE und UNRRA sandten Lebensmittelpakete nach Österreich. Die Amerikaner schickten vor allem auch Weizen, Mehl und Kunstspeisefett. Die Zuweisungen betrugen nun pro Tag und Person 600-700, später 1100 Kalorien.

In den ersten Besatzungsjahren gab es für die Lebensmittelkarten-ausgebe besonders strenge Bestimmungen. Jeder erwachsene Öster­reicher erhielt nur aufgrund eines Beschäftigungsausweises eine Lebensmittelkarte. Für Schwer- und Schwerstarbeiter gab es eine Lebensmittelzusatzkarte. Diabetiker erhielten auch Krankenmarken. Reisende konnten sich nur mit Reisemarken, gegen entsprechende Punkteabgabe, versorgen lassen. Bei Krankenhausaufenthalt hatte man seine Lebensmittelkarte beizubringen.

Für den Handel war die gesamte Bewirtschaftung eine große Belastung. Die Punkte der Lebensmittelkarte mussten monatlich gesondert nach Warengattung aufgeklebt und mit der Kartenstelle der Gemeinde verrechnet werden. Die Kartenstelle stellte dafür einen Kleinbezugschein aus. Mit diesem konnte der Einzelhändler die Ware bei seinem Großhändler beziehen. Der Großhändler wieder musste mit dem Ernährungsamt abrechnen. Dieser Kreislauf wiederholte sich immer wieder.

Nachdem Ende 1949 die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln wieder voll gesichert war, wurde die Bewirtschaftung aufgehoben. Die Österreicher konnten ab 1. Jänner 1950, nach mehr als elfjähriger Bewirtschaftungszeit, wieder ohne Lebensmittelkarte einkaufen.


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