Nr. 301 - 1. November 1995 - 21. Jahrgang
DER EINFLUSS DES PHYSIOKRATISMUS AUF
UNSERE OBSTBAUMKULTUR
(Ing. Dr. Herwig Reichenfelser)
Die nationalökonomische Lehre des Physiokratismus wurde von Francois
Quesnay (1694 bis 1774), dem Leibarzt Ludwig XIV., und der Madame Pompadour
begründet. Dieses nationalökonomische System vertrat die Ansicht, dass der
Reichtum eines Volkes nicht vom Handel und dem Gewerbe komme, so wie es der
vorher herrschende Merkantilismus vertreten hat, sondern allein durch die
Landwirtschaft: Die Landwirte stellen die einzig wirklich produktive Klasse
innerhalb einer Volkswirtschaft dar. Die Physiokraten vertraten aber
gleichzeitig auch die Ansicht, dass der wirtschaftliche Kreislauf nur dann
funktionieren kann, wenn der Gesetzgeber nicht in ihn eingreife. Diese Lehre
drang langsam auch nach Österreich vor.
Unter Maria Theresia begann man sich zunächst im Sinne der
merkantilistischen Lehre um die Wirtschaft zu kümmern; Nach außen hin musste
Österreich, um der industriellen Vormachtstellung des Westen zu begegnen, an
den Regeln des Merkantilismus festhalten und die Grenzen aufbauen. Im Inneren
der Monarchie kam es jedoch zu einer Liberalisierung des Handels und damit auch
zur Aufhebung der Binnenzölle, um zwischen den Staaten der Monarchie ein einheitliches
Wirtschaftssystem zu schaffen.
Dieser Maßnahme gingen auch eingehende Untersuchungen der Ein- und
Ausfuhren von Waren voraus. Dabei hat man festgestellt, dass Obst, insbesondere
das haltbare Dörrobst, in größeren Mengen eingeführt werden musste. Dörrobst
war damals eine wichtige Grundlage für die Ernährung der Bevölkerung. Unter
Berücksichtigung der Lehre des Physiokratismus, dass die Landwirtschaft der
einzig produktive Zweig der Wirtschaft sei, versuchte man nun, um am Obstmarkt
autark zu werden, die Einfuhren zu reduzieren und die inländische Obstproduktion
zu steigern.
In der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts stieg das Interesse der
Wissenschaftler und der maßgeblichen staatlichen Stellen an den
landwirtschaftlichen Problemen stark an. Inwieweit dazu die Lehre des
Physiokratismus beitrug, lässt sich heute nur mehr schwer feststellen. Es war
die Zeit der ersten Phase der Agrarrevolution, die vor allem in einer
Intensivierung des Anbaues und in der Durchsetzung neuer Pflanzen, auch neuer
ertragreicher Obstbaumsorten bestand. Wobei man nicht übersehen darf, dass die
damaligen Maßnahmen zur Förderung der Pflanzung von Obstbäumen nur ein Teil
der allgemeinen Agrarreform dieser Zeit war. Es war jene Periode, in der man
von der Jahrhunderte lang bestandenen Dreifelderwirtschaft (Winter-,
Sommergetreide, Brachland) zur Fruchtwechselwirtschaft überging.
Da die Bauernschaft der Tradition verbunden war, ließ sie sich nur
schwer von den Neuerungen überzeugen. Es war daher erforderlich, die
Intensivierung des Obstbaumanbaues durch die Erlassung von staatlichen
Verordnungen durchzusetzen. Allerdings waren die ersten Hofdekrete noch ganz im
Sinne des Physiokratismus erlassen. Es ist noch kein staatliches Eingreifen in
die Landwirtschaft zu erkennen, es werden vielmehr nach dem physiokratischen
Grundsatz "Laisser faire, laisser passer" (Was da geschieht: lass es
durchgehen!) lediglich Empfehlungen ausgesprochen.
Noch in die Regierungszeit Maria Theresias wurde mit Hofrescript vom 24.
September 1763 erstmalig die Empfehlung ausgesprochen, dass die Städte u
Ortschaften an den Straßen Bäume, unter anderem auch "wilde
Obstbäume", pflanzen sollen. Mit allerhöchster Resolution vom 29. Jänner
1780 wurde die Pflanzung von Bäumen auf den öffentlichen Wegen und Straßen empfohlen,
wobei schon Richtlinien über die Art der Pflanzung ausgesprochen wurden. So
wurde empfohlen, die Bäume nicht in den Schotter der Straße, sondern jenseits
des Straßengrabens zu setzen. Gleichzeitig wurde angeordnet, dass
Denunzianten, die Baumfrevler anzeigen, für jeden beschädigten Baum 2 Gulden
erhalten sollten. Es scheint, dass die reine Empfehlung nicht den gewünschten
Erfolg gebracht hat, denn in einem weiteren Hofdekret vom 7. Mai 1782 wurde zur
Förderung der Obstbaumpflanzungen angeordnet, dass die Landbewohner, die viele
und gute Bäume gesetzt haben, prämiert und beim "allerhöchsten Orte"
(Kaiser Joseph II.) gemeldet werden sollten.
Noch greift man nicht direkt in die Landwirtschaft ein, sondern setzt
durch Belohnungen Anreize zur Obstbaumpflanzung. Gleichzeitig wurden
Strafbestimmungen gegen vorsätzlichen Baumfrevel erlassen. Wenn ein
vorsätzlicher Baumfrevel erstmalig nachgewiesen wurde, so war der Täter mit
zweijähriger Zuchthausstrafe, beim zweiten Mal mit drei Jahre Festungshaft zu bestrafen.
Gleichzeitig wurde angeordnet, dass entsprechende Tafeln zur Abschreckung des
Baumfrevels aufzustellen seien, aus denen auch das Strafausmaß zu ersehen sei.
Einen weiteren Anreiz brachte das Hofdekret vom 16. Oktober 1784
Damit wurde der von der Grundhoheit eingehobene Obstzehent (wir
befinden uns noch in der Zeit vor der sogenannten Bauernbefreiung) gänzlich
aufgehoben, und jene Landwirte, die mehr als hundert gute Obstbäume gepflanzt
haben, wurden mit einer silbernen Medaille belohnt. Hat man bisher streng
vermieden, mittels Anordnungen in das wirtschaftliche Geschehen unmittelbar
einzugreifen, so wird sukzessive von diesem Grundsatz, und damit auch von
physiokratischen Gedankengut, abgegangen.
Mit Hofdekret vom 17. März 1787 wird bereits verordnet, dass die Obstbäume
im späten Herbst und zu Beginn des Frühjahrs von Raupen zu befreien und die
Bäume im Herbst mit einem hölzernen Messer sorgfältig von Moos zu reinigen
seien. In der Folge beginnt man auch persönliche Ereignisse mit der Baumpflanzung
zu verbinden. So wird mit Hofdekret Josephs II. vom 7. März 1789 den
Bauersleuten anlässlich der Eheschließung die Verbindlichkeit auferlegt, einige
Obstbäume anzupflanzen.
Diese Pflanzung hat im Jahr der Trauung "unnachsichtlich"
vorgenommen zu werden. In einer Regierungsverordnung vom 22. Juni 1789 werden
die k.k. Kreisämter (Vorläufer der Bezirkshauptmannschaften) angewiesen, den
Gemeinden mitzuteilen, wie viele Obstbäume sie zu setzen haben. Wenn die
Gemeinde dieser Anordnung nach einer Mahnung nicht nachkommt, so haben die
Kreisämter das Nötige sofort einzuleiten.
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