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Der Kollmitzberger Kirtag - ein Jahrmarkt mit 800-jähriger Tradition

Nr. 7 - 1.11.1972 - 1. Jahrgang

Dr. Heimo Cerny: Der Kollmitzberger Kirtag - Ein Jahrmarkt mit 800-jähriger Tradition

Dort, wo der breite Strom in das gefährliche Engtal des sagenumwobenen Strudengaues eintritt, grüßt an der rechten Uferseite von beherrschender Höhe herab die weithin sichtbare Kollmitzberger Ottilienkirche. Auf diesem überragenden Aussichtspunkt am westlichen Ausläufer der Neustadtler Platte befand sich schon zur Römerzeit ein Wachtturm und lange vorher vermutlich auch eine heidnische Opferstätte. Im 13. Jh. wurde dann vom nahen Stift Ardagger aus hier heroben eine Seelsorgestation eingerichtet. Auf Grund des in unserer Heimat äußerst seltenen Patroziniums der Hl. Ottilie, der Schutzpatronin der Augenkranken, entwickelte sich die Bergkirche bald zu einem vielbesuchten Wallfahrtsort.

Noch im vorigen Jahrhundert galt "St. Ottilia am Kalmizberge" als stark frequentierter Gnadenort, wie aus einem Handbuch für Reisende auf der Donau aus dem Jahre 1827 hervorgeht: "In dieser einsam oben am Berge gelegenen Kirche versammeln sich jährlich viele tausend Menschen, um für ihre Augen zu bethen . . . . " Heute liegt das behäbige spätgotische Wallfahrtskirchlein mit seinem reizvollen barocken Zwiebelturm ziemlich abseits vom Getriebe des Massentourismus. Einmal im Jahr jedoch erwacht das hochgelegene Örtchen auch heute noch zu regem und buntem Leben: Jeweils an den letzten Tagen der Herbstquaternberwoche im September rüstet man zum traditionellen und weitbekannten Kollmitzberger Kirtag, der alljährlich tausende Besucher aus dem Most- und Mühlviertel anlockt.

Die Frage nach den historischen Wurzeln dieses Kirtags am Kollmitzberg führt uns weit zurück in die Geschichte der uralten Donauschiffahrt. Die stromabwärts fahrenden Schiffer und Reisenden mussten bei Ardagger anhalten, wenn sie das gefürchtete Donauengtal des Strudengaues am sicheren Landweg umgehen wollten. So landete auch Kaiser Konrad III. im Mai 1147, als er mit einem Heeresaufgebot von 70.000 Mann zum zweiten Kreuzzug aufbrach, hier in Ardagger und zog auf dem sicheren Landweg nach Ybbs, um erst von dort weg wieder die Donau zu benutzen. Der berüchtigte "Strudel und Wirbel" bei Grein war ja bis vor nicht allzu langer Zeit der Schrecken aller Schiffsleute. An dieser Stelle hatte seit alters der Stromgott seinen Sitz, den schon die Römer dadurch zu beschwichtigen trachteten, indem sie ihm reiche Münzopfer als Weihegaben in die gurgelnden Fluten warfen. Dieser zürnende Stromgott scheint dann im Hl. Nikolaus, dem Patron der Schiffer und Händler, sein christliches Gegenstück gefunden zu haben.

Ihm sind ja bezeichnenderweise die Gotteshäuser in Markt Ardagger sowie in St. Nikola, das am Ende der Gefahrenzone am linken Donauufer liegt, geweiht. Auch die heidnischen Weiheopfer haben eine christliche Umwandlung erfahren: Im Jahre 1351 bestätigte Herzog Albrecht II. der Kirche zu St. Nikola das alleinige Recht, von den Schiffsleuten zwischen Ardagger und Ybbs Almosen einzusammeln. Aus den Erträgnissen dieser Sammlung musste der Treppelweg längs der Donau erhalten werden. Erst 1913 ist diese uralte Schiffahrtsabgabe offiziell aufgelassen worden.!

Sehr früh begann in Ardagger zufolge seiner wichtigen Verkehrslage der Handel aufzublühen, und im Hochmittelalter entstand hier ein weltbekannter Warenstapel- und Umschlagsplatz, der von Kaufleuten aus aller Herren Länder besucht wurde und dessen Erträge dem 1049 gegründeten Chorherrenstift zuflossen. Alljährlich begann im Juli, zum Fest der Kirchenpatronin Margarete, ein zwei Monate lang (!) dauernder Jahrmarkt, der bald die Dimension einer internationalen Handelsmesse angenommen haben durfte. Im Jahre 1192 bestätigte der Babenberger Leopold V. dem Stifte das Marktrecht "per duos menses" und verbot jede Beeinträchtigung desselben. Vier Jahre später wurde auch das wichtige Privileg der Mautfreiheit gewährt. Vor allem war es der Handel mit Holz, Tierhäuten (Leder), Wein und Salz, der den Wohlstand und die Bedeutung des "Goldenen Marktls" begründet hat. Die Wirren des Interregnums (ab 1250) ließen diese berühmte Messe zu Ardagger jedoch nach und nach zu einem kleinen bäuerlichen Lokalmarkt verkümmern. Dem Volksmunde nach wurde dieser Markt dann wegen der im 16./17. Jh. oftmals wütenden Pest auf den in gesünderer Höhe liegenden Kollmitzberg verlegt, wo er anfänglich vierzehn, später acht Tage lang gedauert haben soll.
So kam es, dass hier heroben bei der alten Wallfahrtskirche der heute noch abgehaltene "Schusterkirtag" seinen Anfang nahm. Der Name rührt daher, weil auf diesem Markt bis vor kurzem noch fast ausschließlich Schuhwaren, vor allem Lederstiefel, feilgeboten worden sind. Dies ist bestimmt kein Zufall, und vermutlich ist hier eine uralte Tradition im Spiele, denn schon im mittelalterliehen Ardagger galten Tierhäute und Leder als spezielle Handelsartikel! Noch um die Jahrhundertwende, so erzählte die alte Kirchenwirtin, konnte man an die hundert Schusterstandel zählen! Von weit her, aus dem Wald- und Mühlviertel, ja sogar aus Wien sind die Schuhmacher mit ihren das ganze Jahr über verfertigten Waren hierher gezogen.

Seit dem ersten Weltkrieg sind nur mehr der Samstag und Sonntag der Quatemberwoche die markanten Markttage. Sank während des zweiten Krieges die Standelzahl auf einige wenige herab, so begann nach 1948 der Jahrmarkt wieder schnell zu wachsen, und seither steigt der Zustrom der Marktfahrer, Schausteller und Besucher alljährlich ständig an. Aus dem beliebten Schusterkirtag unserer Großväter hat sich allerdings in den letzten Jahren immer mehr eine landwirtschaftliche Musterschau mit volksfestartigem Gepräge entwickelt.


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